Donnerstag, 17. März 2011

2.4. Jammerlappen.

„Müssen denn immer diese Ausdrücke...“ kam es schwächlich aus dem dritten Bett, wo Goldstein noch immer mit geschlossenen Augen lag.

„Professor? Sie sind wach?“

„Sam, ich bewundere Ihre Fähigkeit, das Offensichtliche zu konstatieren. Wären Sie so gut, ein Glas Wasser aufzutreiben?“

„An Ihrem Bett sollte ein Rufknopf für die Schwester sein. Dort, rechts neben Ihnen.“

„Diesen habe ich bereits betätigt. Sie sehen den Mangel an Reaktion.“

Liz war währenddessen aus dem Bett geklettert und hatte die Maschinen abgeschaltet, die eigentlich dafür hätten sorgen müssen, dass ein ganzes Team von Ärzten mit einem Defibrilator in das Zimmer gestürmt wäre.

„Glaube nicht, dass jemand kommen wird.“ Sie wankte mit steifen Beinen hinüber in Richtung der Türen, von denen eine offen stand und Zugang zu einem minimalistisch ausgestatteten Bad gewährte. Kurz darauf hörte man das Geräusch von laufendem Wasser.

Erst den Mund spülen, dann ein paar kleine Schlucke. Sie fuhr sich mit der feuchten Hand durchs Haar, was nicht viel besser machte, und ihr Blick blieb zum ersten Mal seit langer Zeit länger als nötig an ihrem Spiegelbild hängen. Etwas war falsch. Sie hielt den Kopf unter den kalten Strahl, bis ihr Hirn klarer wurde. Erneut starrte sie in die reflektierende Oberfläche. Nein, das hatte nichts besser gemacht. Noch immer schien das helle Blau ihrer Augen, das Einzige, in dem sie wirklich nach ihrer Ma kam, von einer Schicht aus reflektierenden Silberpartikeln durchsetzt zu sein, die ihre Iris spiegeln ließen wie kleine Teiche aus Quecksilber. Sie ließ sich auf den Toilettendeckel sinken und stützte den Kopf in die Hände.

„Bleiben Sie liegen, Goldstein, ich werde schon was finden.“ Sam machte sich auf in Richtung der Zimmertür, öffnete sie und blieb ruckartig stehen.

„Bleiben Sie bitte in Ihrem Zimmer, Sir.“

Sams Blick wanderte von der Waffe, die einer der beiden Soldaten, die vor der Tür Wache standen, reflexartig zu ihm herumgeschwenkt hatte, zu dem Mann und einen Flur hinunter, der seine Annahme 'Krankenhaus' bestätigte. Das hier sah nicht nach einer Militäreinrichtung aus.

„Nehmen Sie das Ding runter.“

Zögernd leistete der Soldat Folge. „Sir?“

„Wäre es möglich, uns den Zimmerservice zu schicken? Eine Schwester tut es auch.“

Der Soldaten starrte einige Atemzüge wie hypnotisiert auf die Gegend von Sams Hals, ehe er sich zusammenriss. „Sicher, Sir. Wären Sie so gut, bis dahin in Ihr Zimmer zurückzukehren?“

„Sind wir etwa ansteckend?“

Es war als Scherz gemeint gewesen, aber die uniformierte Gestalt straffte sich.

„Ich bin nicht befugt, Ihnen darüber Auskunft zu geben, Sir. Gedulden Sie sich bitte.“

Sam runzelte die Stirn und schloss die Tür hinter sich.

„Wird wohl ein Weilchen dauern, Goldstein. Wir stehen wohl unter Arrest. Alles in Ordnung bei dir, Liz?“

Er hatte das Häufchen Elend in dem weißgekachelten Raum entdeckt, das im weißen Licht einer Leuchtstoffröhre auf der Toilette saß und auf den Boden starrte wie ein ungeübter Trinker in den Morgenstunden im Club.

„Ist dir schlecht?“

Sie brummte unwillig.

„Sitzt du da gut?“

Nicken, ohne den Kopf zu heben.

„Melde dich, wenn du was brauchst.“ Er lehnte sich vor und boxte ihr freundlich gegen die Schulter, ehe er sich wieder auf seinem Bett niederließ, sich zurücklegte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte.

„Und sonst, Goldstein? Geht es Ihnen halbwegs?“

„Der Reaktor hat sich als nicht stabil genug erwiesen, um gegen Sabotage unempfindlich zu sein. Das hat Menschen das Leben gekostet. Was denken Sie, wie es mir geht?“

Noch immer starrte er aus dem Fenster, das Gesicht regungslos, die Stimme nicht mehr als der nüchterne Ton eines Nachrichtensprechers.

„Sie dürfen sich doch deshalb keine Vorwürfe machen. Alles, was man hätte erwarten können, war abgesichert. Das, was da oben geschehen ist, war unmöglich abzusehen.“

Der Professor schwieg, führte dann seinen Gedankengang zu Ende. „Beim nächsten Mal werde ich autarke Sicherheitssystem einbauen müssen, die sich nicht von fehlgeleiteten Computern beeinflussen lassen. Der menschliche Irrtum muss ausgeschlossen werden.“

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür. Schwester Morgan lugte erst in den Raum, ehe sie die Tür ganz öffnete.

„Sie wollten...“, sie haspelte und räusperte sich, als sich Sams Blick auf sie richtete, und strich sich das weiße Kostüm glatt. „Kann ich Ihnen etwas bringen?“

„Der Professor wünscht sich ein Glas Wasser. Und ich hätte gerne etwas zu essen.“

„Einen verdammten Haufen Essen.“ kam es dumpf aus dem Bad.

„Möchten Sie etwas Bestimmtes?“

„Überraschen Sie uns. Ich vertraue ganz auf Ihren Geschmack.“ Als Sam ihr zuzwinkerte, schoss ihr das Blut in die Wangen.

„Können Sie auf dem Weg eine Zeitung auftreiben?“, er blickte sie fragend an. „Wir haben vermutlich einiges verpasst.“

„Sicher, Sir. Bin gleich wieder da.“

Sie verschwand, auf dem Gesicht einen Ausdruck von Dankbarkeit. Sie war froh, den Briten nicht mehr anschauen zu müssen. Etwas war seinen Hals hochgeflimmert, als er sprach, und hatte seinen Mund überdeckt wie das Flimmern der Hitze über dem heißen Teer einer Straße an einem Sommertag. Der Doktor hatte sie gewarnt, dass bei den dreien körperliche Anomalien auftauchen könnten, aber sie hatte eher mit etwas Normalerem gerechnet.

Sam stand vor dem Fernseher und schaltete durch die Kanäle, in denen nichts als statisches Rauschen zu finden war.

„Kein Kabel angeschlossen. Sie können noch lange dort stehen, es wird nicht besser.“

„Man scheint viel Wert darauf zu legen, uns die Welt momentan zu ersparen. Sehr fürsorglich.“ Er drückte den Kopf, und das schwarz-weiße Ameisentanzen erstarb.

„Herrschaften?“ Die Tür wurde aufgedrückt. Der Arzt hielt sie auf, um dem metallenen Servierwagen, den die Schwester vor sich her schob, den Weg zu erleichtern, ehe er sich mit wachen Augen im Raum umblickte. „Schon auf den Beinen, Mr. Reignsbury? Sie gehören ja zur ganz schnellen Sorte. Mr. Goldstein ist auch wieder wach...und Ihre Kollegin?“

Sam nickte in Richtung des Badezimmers.

„Ich kümmere mich gleich um Sie, Mr. Goldstein. Bringen Sie ihm doch schon einmal ein Glas Wasser, Morgan.“

„Professor.“ tönte es von dem Bett, in dem dieser lag. „Professor Goldstein.“

„Natürlich. Professor.“ Der Arzt war schon halb im Bad verschwunden. „Wie fühlen Sie sich, Ms. Carmichael?“

„Haben Sie ein paar Minuten?“ Die dünne Holztür wurde hinter ihm zugeschlagen.

Drei Augenpaare richteten sich gleichzeitig in die Richtung des Geräusches. Als weder Schreie noch ähnliche Geräusche herausdrangen, die üblicherweise Liz' Unmut begleiteten, kam wieder Leben in die Gruppe.

„So, Herr Professor. Ein Glas Wasser für Sie. Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen? Einen Tee? Eine Kleinigkeit zu essen?“ Goldstein schüttelte ablehnend den Kopf.

„Das ist im Moment alles. Danke.“

„Und für Sie habe ich...“, sie begann, die bunten Plastikdeckel abzunehmen, die die Teller darunter so lauwarm hielten, wie sie aus der Krankenhausküche gekommen waren, „etwa von allem, was ich auftreiben konnte. Und, weil Sie es sind, das weiße Gold, das Patienten sonst nie bekommen.“ Sie zog einen Salzstreuer aus der Tasche ihrer Uniform.

„Sie sind ein Goldstück.“, strahlte Sam und ignorierte gekonnt die bleiche Färbung und die Breiartigkeit der Nahrungsmittel auf den Tellern. „Und die Zeitung?“

„Der Doktor sagt, dass Sie im Moment noch keine Zeitung lesen sollen. Sie dürfen sich nicht aufregen.“

„Was haben wir denn?“

Die Schwester schnappte nach Luft. Sie war nicht autorisiert, diesen Leuten eine Diagnose mitzuteilen, so gern sie das bei normalen Patienten auch tat, und hier hätte sie es nicht einmal gekonnt. Die Ärzte hatten sie nur notdürftig eingeweiht und wachten mit Argusaugen über die Akten.

„Jemand ist auf dem Weg hierher, um sich genau darüber mit Ihnen zu unterhalten, Mr. Reignsbury. Haben Sie noch etwas Geduld. Und leisten Sie uns doch wieder Gesellschaft, Ms. Carmichael. Essen Sie einen Happen, dann fühlen Sie sich gleich besser.“ Der Arzt war unbeschadet aus dem Bad getreten, und Liz kam zögernd hinter ihm her.

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