Montag, 30. Mai 2011

3.2. No place like home.

Können Sie das bitte leiser machen?“

Aber das sind die verdammten Braves!“

Wenn ich es richtig sehe, ist es nur ein...“ Goldstein räusperte sich, „ 'verdammtes' Trainingsspiel. Ich versuche zu arbeiten, und das ist um einiges relevanter als junge Männer, die mit Holzstöcken nach Bällen schlagen.“

Aber es ist das erste Spiel mit dem neuen Pitcher, und...“ Das Metall der Bierdose knackte in Liz' Hand, ehe sie die Füße vom Glastisch nahm und den Fernseher ausschaltete. „Fein. Was haben Sie denn so Wichtiges zu tun, dass es nicht warten kann?“

Im Gegensatz zu Ihnen werte ich die Daten aus, an die ich mich erinnere. Haben Sie den Bericht erstellt, um den ich Sie gebeten habe?

Großteils. Bin mir nicht mehr ganz sicher mit den Zahlen. Ist auf dem Stick in meinem Rechner, wenn Sie mal reinschauen wollen.“ Sie leerte die Dose mit einem Schluck und stellte sie unsanft auf dem Tisch ab. „Trinken Sie eins mit?“

Goldstein zog nur die Brauen nach oben, während Liz sich von der elegant geschwungenen Ledercouch rutschen ließ und in die offene Küche wanderte, um den Inhalt des Kühlschranks zu inspizieren.

Hören Sie, Liz, ich bin gerne bereit, Ihnen ein Paar gute Kopfhörer zukommen zu lassen, aber johlende Fans bringen mich nicht weiter.“

Und wenn Sie sich vorstellen, es wären Ihre? Nobelpreis-Verleihung mit echter Freude?“ Ein Blick auf seine säuerliche Miene machte den Mangel an brauchbaren kalten Getränken noch unangenehmer. „Ist ja gut. Haben Sie was von Sam gehört?“

Er braucht wohl noch eine Weile. Der Flug aus San Diego hat sich verzögert, und er hat sich nicht aus einer Notsituation gemeldet, daher gehe ich davon aus, dass er sich so lange irgendwo amüsiert.“

Sie überprüfen die Flugpläne, statt ihn anzurufen?“

Ich wollte ihn in seiner Privatangelegenheit nicht stören.“

Oh Mann.“ Sie schlug den Kühlschrank zu. „Wissen Sie was? Machen Sie Ihr Zeug, ich geh eine Runde um den Block. Hol einen Sixpack oder zwei. Bring Ihnen Ohrstöpsel mit, damit Sie in aller Ruhe, die Sie nur haben wollen, arbeiten können. Okay?“

Gehörschutz ist nicht das Gleiche wie eine stille Umgebung, Liz. Ich habe diese Möglichkeit in Betracht gezogen und verworfen.“

Ich werd jetzt einfach so tun, als hätten sie Ihr Okay gegeben, gut? Schön, dass wir uns da einig sind. Bin in ein paar Stunden wieder da.“

Ohne die Worte seiner Erwiderung zu beachten, schnappte sie sich ihre Kapuzenjacke, stopfte ihren Geldbeutel in die Hosentasche und verließ mit einem etwas zu lauten Türenschlag die Wohnung.

Goldstein atmete erleichtert auf. Endlich allein.

Montag, 23. Mai 2011

3.1. Umzüge

Das ist es also?“ Sam hatte die Hände in den Hosentaschen versenkt und stolzierte durch die weitläufigen Räume des San Franciscoer Penthouse.

Der General hatte den zufriedenen Gesichtsausdruck eines Maklers vor einem lukrativen Abschluss.„Ich sagte Ihnen, dass wir für Helden wie Sie nur das Beste bieten.“

Sie sagten etwas davon, dass wir keine Ratten im Käfig sein würden, aber das ist, entschuldigen Sie, Sir, lächerlich. Ist das ein Jacuzzi?“

Liz schob die gläserne Tür zu der mit hellem Stein verkleideten Terrasse auf, inspizierte das in den Boden eingelassene Wasserbecken und trat dann an das Geländer aus Glas und Metall, das eine dünne Absicherung vor dem gewaltigen Abgrund , in dem sich die Stadt wie eine riesige glänzende Kröte streckte.

Der Professor hatte sich währenddessen bereits Pläne für jene Räume gemacht, die er für sich beziehen wollte, und zerrte die Möbel aus seinem zukünftigen Studienzimmer. Karge, weiße Wände und weiße Möbel. Die Designerstücke und abgestimmten Farben hier knabberten jetzt schon an seinen Nerven. Hier würde er etwas Ruhe vor seinen Kollegen finden. Türschlösser. Ja. Er brauchte Türschlösser.

Er notierte diese Tatsache mit einem Ausrufezeichen dahinter und begann, einen Plan der neuen Einrichtung zu zeichnen.

Goldstein bedauerte es in einem Winkel seines Herzens, dass er weiterhin mit den beiden eingeschlossen sein würde. Sie waren sicher kompetente Leute in ihren speziellen Bereichen, aber ihr Verständnis für seine Steckenpferde ließ zu wünschen übrig. Natürlich war es wissenschaftlich durchaus sinnvoll, dass die Bedingungen, unter denen die Mutation zustande gekommen war, so stabil wie möglich gehalten wurden, und vermutlich war es für kleinere Geister auch tröstlich, mit Vertrautem umgeben zu sein, aber er sah die Notwendigkeit für sich selbst nur äußerst begrenzt.

Er unterstrich das Wort „Türschlösser“.


Die nächsten Tage wurden nicht besser. Sam löste die Situation durch Nichtbeachtung. Dies war bezahlter Urlaub, und er hatte vor, ihn zu genießen, so lange er hielt. Ab und an besuchte er Liz in einer der Bars, wo sie schweigend saß und trank, eine getönte Brille auf der Nase, um die Silberaugen zu verbergen. Es schien sie Mühe zu kosten, den Alkohol zu spüren. Der Barkeeper hatte Sam gefragt, ob es ein Trick sei, und sie die drei Flaschen Bourbon, durch die sie sich im Laufe des Abends trank, in einen versteckten Behälter leeren würde. Er hatte gegrinst und mit dem Mann um eine Flasche guten Single Malt gewettet, dass der Trick viel besser sei und er ihn auch im Laufe der nächsten Woche nicht entdecken würde.

Eines Nachts hatte er sie entdeckt, wie sie auf dem Geländer über dem Abgrund hockte, ein Bier in der Hand, und der Wind an ihr zerrte. Sam hatte sie am Kragen ihres T-Shirts gepackt und zu Boden gezerrt, ihr ins Gesicht geschlagen und sie angebrüllt, was der Blödsinn solle.

Sie hatte sich nicht einmal gewehrt, worüber Sam im Nachhinein Gott dankte, sondern war nur aufgestanden und gegangen, hinunter in die neonleuchtende Stadt. Am nächsten Tag hatte sie wieder mit ihrer täglichen Trainingsroutine angefangen, die nun einen Großteil ihrer Zeit ausfüllte.

Liz war kurz danach zu einem Beratungsgespräch gebeten worden, in dem sie sich nicht sonderlich kooperativ gezeigt hatte.

General Holbrook saß brütend über den Unterlagen, die nach Auswertung der versteckten Überwachungskameras zusammengestellt worden waren. Carmichael schien sich die Schuld für den Tod ihrer Kameraden zu geben. Sie hatte schon beim Start des Shuttles Bedenken über geringfügige technische Schwierigkeiten geäußert, hatte sich dann aber überzeugen lassen, dass der Start durchgezogen werden müsse und das Projekt zu wichtig sei. Ihr schien logisch durchaus klar zu sein, dass der Absturz wohl nichts mit diesen Problemen zu tun hatte, sie kam aber dennoch nicht damit zurecht, dass sie es war, die den Start abgesegnet hatte. Die Schande über die in Holbrooks Augen rein medientechnisch begründete Entlassung gesellte sich dazu und trat sie tiefer in die Verzweiflung, als man von ihrem psychologischen Profil her vermutet hätte. Zumindest die suizidale Phase schien überwunden.

Goldstein machte ihm mehr Sorgen. Der Wissenschaftler hatte sich abgekapselt und verließ seinen provisorischen Arbeitsraum nur, um zu essen und zu duschen. Seine Kommunikation mit den anderen beiden beschränkte sich auf das Nötigste. Seine Reaktion auf die traumatische Erfahrung schien darin zu bestehen, die Berechnungen und Baupläne zu seinem Reaktor von Grund auf neu aufzurollen und dem Konstrukt mehr Autarkie zu gewähren, wenn es einmal angelaufen war. Ihn mit an Bord zu nehmen war damals schon eher eine Notwendigkeit als eine freie Entscheidung gewesen. Der Professor hatte sich geweigert, die Genehmigung für die Verwendung des Reaktors zu erteilen, wenn sie ihn nicht mitnehmen würden, und so hatten sie ihn durch das Training geschleift. Das Körperliche war nie das Problem gewesen, aber er kam nicht weit genug aus seinem akademischen Mindset heraus, um etwas anderes als Konkurrenten und Verüber minderer Tätigkeiten, die alles umfassten, was für Goldstein selbst nicht von direktem Interesse war, im Rest der Mannschaft zu sehen.

Und Sie, Mr. Reignsbury?“ Holbrook blickte auf und musterte den Briten, der auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch lümmelte.

Ich habe Flecken.“ Wie ein Zauberkünstler hob der beide Hände, präsentierte die beiden Handflächen und zog die Brauen zusammen. Konzentration.

Die Luft vor seinen Händen begann zu flimmern, als er die seltsame Anomalie, die er wie einen Geist Millimeter über seiner Haut schwebend entdeckt hatte, durch schiere Willensanstrengung zum Wandern zwang.

Sehen Sie das?“

Der General hatte die Akte zugeschlagen.

Sie kontrollieren das willentlich?“

Sam grinste. „Geht noch besser.“

Wie schwarze Tintentropfen auf einer Wasseroberfläche tauchten dunkle Wirbel in dem Flimmern auf, tanzten und strudelten über die bleichen Finger, füllten einen kleinen Teil der Welt mit kosmischer Dunkelheit.

Sie haben das bereits Ihrem Arzt gezeigt, Mr. Reignsbury?“

Sam verzog das Gesicht. Er hatte auf mehr Enthusiasmus gehofft. „Ja, und er meinte, Sie würden das vermutlich sehen wollen.“

Der Bericht des Doktors sprach davon, dass Sie es in Tests unter einiger Anstrengung geschafft haben, diese Schwärze zu projizieren?“

Nicht sonderlich weit. Auf eine Kaffeetasse in meiner Hand, aber es wird besser. Ist wohl Übungssache.“

Holbrook verfiel in kurzes Schweigen, nickte dann. „Bleiben Sie dran, Reignsbury. Je besser Sie den Umgang ihren neuen Fähigkeiten lernen, desto eher wissen wir, was aus Ihnen werden kann.“

Wenn ich mal groß bin, was?“

Als Brite werden Sie hier allerdings wohl nie Präsident, da muss ich Sie enttäuschen. Sie wollten aber noch über ein persönliches Anliegen mit mir sprechen?“

Oh. Ja.“ Sam ließ die Schwärze ins Nichts zurückkriechen. „Es geht um meine Verantwortlichkeiten innerhalb unserer kleinen Wohngemeinschaft.“

Der Reinigungsservice ist zu unzuverlässig?“

Nicht doch. Es geht eher darum, ob...“ Er ließ sich im Stuhl nach hinten sinken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, „...Sie von mir erwarten, dass ich dazwischengehe, wenn Liz dem Professor Tür oder Schädel einschlägt. Die beiden sind auf Konfrontationskurs, seit sie kein gemeinsames Ziel mehr haben, und sie hatten schon im Training nicht den besten Draht zueinander.“

Ich traue Carmichael genug Selbstkontrolle zu, um sich auch in der momentan Situation zumindest so weit zu beherrschen, um keinen Unsinn zu machen. Halten Sie die Situation für so prekär?“

Haben Sie das Loch gesehen, dass sie im Krankenhaus hinterlassen hat? Sie hat die halbe Wand eingerissen, mit einem einzigen Schlag!“

Was würden Sie vorschlagen, Mr. Reignsbury? Eigene Wohnungen?“

Ich dachte eher an Blasrohr und Betäubungspfeile für mich, aber wenn Sie mich so fragen... ein neues Projekt täte ihnen beiden vermutlich gut. Was Technisches, an dem sie sich austoben können.“

Und Sie?“

Ich übe.“

Mittwoch, 11. Mai 2011

Einschub 1.

Lieber Leser,
falls du existierst, an dieser Stelle eine kleine Anmerkung: Zumindest Bärblowitsch freut sich immer über Feedback. Und Kekse. Vorzugsweise vollkornige, gerne mit Schokolade. Müssen keine Hobbits sein, schadet aber auch nicht.

Danke.

2.7. Wtf?

Wieder ein Nicken in Richtung seines Adjutanten. Eine Präsentation wurde geöffnet, wo in schematischer Darstellung die Zeichnung der Schädel einer politisch korrekt geschlechtsneutralen Figur in Scheiben aufgefächert wurde.

Die Ausprägung dieser Kräfte, dieser Mutation, um Sie zu zitieren, Professor, ist äußerst unterschiedlich. Bisher reichte sie von, nun, übermenschlichen Kräften bis zu Telekinese und äußerst unschönen Strukturveränderungen.“

Können Sie das näher definieren?“ Goldstein hatte die Brauen erhoben.

Der Betreffende löste sich nach und nach in Luft auf. Buchstäblich. Er schien selbst nicht sonderlich glücklich über seinen Zustand zu sein. Zur Zeit haben wir den Raum, in dem wir ihn überwachten, luftdicht versiegelt und registrieren die dennoch vorhandenen Winde. Vielleicht sammelt sich unser Freund demnächst wieder.“

Sie nehmen die Sache mit Humor.“ stellte Sam fest. „Es geht also nur um den Professor?“

Nein.“ Energisches Kopfschütteln. „Es geht um die einzige Gemeinsamkeit, die unsere Forscher bisher feststellen konnten.“

Ein Fingerzeig, und Bewegung kam in die Animation. Sie zoomte in den Schädel hinein, um bei einem roten, pulsierendem Knoten am Stammhirn zum Halten zu kommen.

Sie sehen hier die einzige bisherige Gemeinsamkeit. Eine Art Tumor, ein angeschwollener Gewebeknoten, der bei allen Betroffenen, die wir bislang untersuchen konnten, vorhanden war.“

Ein ungefragt auftauchender Pfeil deklarierte ihn als 'Mazarin-Rashoud-Knoten', und kurz danach änderte sich das Bild in ein Photo der beiden Wissenschaftler, die den Knoten wohl entdeckt hatten. Nur Goldstein würdigte sie eines flüchtigen Blickes, während die anderen den Uniformierten anstarrten.

Wir sind uns nicht sicher, ob er Ursache oder Symptom der Kräfte ist. Tatsache ist aber, dass...“ Er gestattete sich eine Kunstpause und zupfte die tadellos sitzende Jacke zurecht, „...wir ihm Rahmen Ihrer Behandlung nach dem Absturz eben diese Änderung des Hirns diagnostizieren durften. Bei jedem von Ihnen.“

Schweigen. Nach einer Minute kletterte Liz aus dem Bett, um sich ein Glas mit Wasser vollzugießen und den Adjutanten tonlos nach einer Zigarette zu fragen. Der schüttelte bedauernd den Kopf.

Was heißt das für uns? Sind Sie vorbeigekommen, um uns auf unsere zweite Karriere als Versuchskaninchen vorzubereiten?“ Es war Sam, der sich als erster wieder gefasst hatte.

Ich bin nicht bereit, mich für den Rest meines verdammten Lebens an Kabel anschließen zu lassen. Davon gab es im Training mehr als genug.“ Liz knallte das halbvolle Glas auf den Tisch und lehnte sich gegen die Wand. An ihrer Schläfe pochte eine Ader.

Beruhigen Sie sich, Carmichael.“ Der General hatte eine Hand erhoben. „Wir möchten mit Ihnen arbeiten, da Sie ausgebildete, vernünftige Leute sind und wir mit einer weitaus ergiebigeren Kooperation rechnen ,als sie mit den anderen möglich wäre. Von unserer Seite aus werden wir Ihnen ein Apartment und mehr als großzügigen Ausgleich für Ihre Bemühungen stellen. Im Gegenzug werden Sie Tagebuch führen und Ihr Leben und eventuelle Veränderungen dokumentieren. Ein gewisses Maß an medizinischer Aufmerksamkeit wird unumgänglich sein, aber ich verspreche Ihnen, dass Sie kein Leben als Laborratten führen werden.“

Goldsteins Augen flackerten, als er kalkulierte. Sekunden später kam ein resigniertes „Es ist entzückend, dass Sie es so darstellen, als ob wir Alternativen hätten. Sie sehen die Mutation als Bedrohung. Wenn ich nach den Aufnahmen urteile, vollkommen zurecht. Sämtliche für Sie gangbaren Alternativen sind für uns weniger wünschenswert.“

Uns ist durchaus klar, dass die Situation für Sie nicht eben angenehm ist. Aber Sie haben Ihrem Land bisher mit Hingabe gedient, und so können wir etwas zurückgeben, so weit es die Umstände erlauben.“

Gedient. Bitte. Ich bin Wissenschaftler.“

Und deswegen sind Sie kein Amerikaner?“ Goldstein verdrehte die Augen.

Liz, bitte, sparen Sie sich die patriotischen Vorträge. Ich bin mir sicher, dass es sehr berührend wäre, aber ich habe meine Entscheidung, wenn man sie so nennen will, bereits getroffen. Da ich bereits wieder Sterne und Streifen in Ihren Augen...“, er stockte kurz, als er sie strafend anblicken wollte und die Veränderung in ihrem Gesicht bemerkte, fing sich aber schnell, „...sehe, nehme ich an, dass Sie weiterhin den Dienst fürs Vaterland fortsetzen wollen.“

Sie nickte. „Erstmal. Dann ein paar Sachen klären, und dann wieder zurück zu meiner Staffel. Das war genug Weltraum für die nächsten Jahre.“

Beschränken wir uns erst einmal auf das Naheliegende, Carmichael.“ Der General klopfte ihr väterlich auf die Schulter, und ihr Körper entspannte sich.

Und Sie, Mr. Reignsbury?“

Sam zupfte an seinem Daumennagel. „Großzügiger Ausgleich, ja?“

Äußerst großzügig.“

Ich werde das als bezahlten Urlaub sehen, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Der General schmunzelte. „Womit immer Sie glücklich sind.“

Er nickte seinem Attaché zu. „Packen Sie zusammen. Wir holen die Herrschaften ab, sobald die Ärzte ihr Okay geben.“

Er schüttelte reihum die Hände, nickte noch einmal zufrieden und verließ das Krankenzimmer.

Ich muss meinen Dad anrufen, Sam. Er wird sich wundern...“

Der Adjutant räusperte sich und hielt den Laptop wie ein Schutzschild vor sich. „Miss Carmichael?“

Captain Carmichael.“

Sie möchten sich setzen. Bitte.“ Er deutete in Richtung ihres Bettes.

Sie gehorchte und ließ sich nieder.

Es tut mir leid, dass Sie es von mir erfahren müssen. Wir wollten Ihnen diese Information ersparen, bis Sie gefestigter in Ihrer neuen Existenz sind, aber...“

Er schluckte.

Es gab nach dem Absturz der Freedom keine Überlebenden. Die heldenhaften Astronauten konnten nur noch tot geborgen werden.“

Die Gesichter der drei waren versteinert. Wie ein Nachrichtensprecher fuhr der Militär fort.

Die Untersuchungskomission geht nach eingehenden Nachforschungen von einem fatalen Pilotenfehler aus. Commander Carmichael wurden posthum die Ränge aberkannt und sie wurde unehrenhaft entlassen.“


Das zornige Brüllen und ein Schlag gegen die Wand, der von einer Faust oder einem Schädel stammen konnte, ließ die MPs mit erhobenen Waffen hereinstürmen.

Der Offizier kam ihnen entgegen, schüttelte abwehrend den Kopf. „Lassen Sie sie. Nur Sachschäden.“ Dann eilte er in großen Schritten davon.

Freitag, 6. Mai 2011

2.6. Have you seen the news today?

Der General kannte die Bilder. Der riesenhafte Kerl, der in einer Bank den Schalter vor dem Kassierer einfach wegriss, als wäre er aus Pappe, und über den panischen Mann hinweg in den Raum hineinmarschierte. Auf der Aufnahme sah man, dass der Brustkorb des Kassierers unter ihm zerdrückt worden war wie ein Eichhörnchen unter einem Autoreifen. Schnitt. Der Vorraum des Tresors. Ein Wachmann eröffnet das Feuer auf den Riesen, die Kugeln schlagen ein, bleiben im Körper stecken, und der Kerl geht weiter, greift den Schädel des Wachmanns über die ausgestreckte Pistole hinweg, hebt ihn daran hoch, schleudert ihn fort wie eine Puppe. Blickt hoch zur Kamera. Ein Schlag mit der offenen Hand, aus der sich farblose Wellen lösen. Schwarz.

Schnitt. Die Kamera eines Reporters, abgedrängt hinter einem Wall aus Autos der NYPD, hinter denen Polizisten kauern, die Waffen im Anschlag. Die Linse fokussiert sich auf den Riesen, der mit zwei gefüllten Säcken durch die Glastüren eines Gebäudes bricht. Die üblichen Schreie, sich auf den Boden zu legen und zu ergeben. Er geht weiter. Sie eröffnen das Feuer, der Reporter wird zur Seite gestoßen, fällt, Flüche ausstoßend, die im Kugelhagel untergehen. Die Kamera fängt ein, wie ein Schemen, der eigentlich nur der Riese sein kann, in einem gewaltigen Satz über die Barriere aus Polizeiautos fliegt, sich an einem Laternenpfahl abstößt und in hohem Bogen weiter springt.

Das hier konnte abgefangen werden, bevor es auf Sendung ging. Das hier nicht.“

Schnitt. Ein heruntergekommenes Viertel mit engen Gassen, Rio vielleicht oder Sizilien. Verrauschte Bilder, eine Handykamera vielleicht. Das Logo des Originalsenders überblendet mit den rot-weißen Buchstaben mit der Weltkugel, ein Newsticker mit Aktienkursen. Ein dürres Mädchen, hochgeschossen, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt, in abgeschnittenen Jeans und einem engen Shirt winkt in die Kamera. Der Filmer sagt etwas zu ihr, ein Untertitel übersetzt es als „Na dann zeig mal, was du kannst!“. Sie streckt den Daumen in die Höhe, nickt, und Flammen schießen aus ihren Händen, züngeln hoch und bläulich ihre Unterarme empor. Langsam steigt der schmale Körper in der Luft empor, schwebt wie eine Feuergöttin über den Pflastersteinen.

Wir haben versucht, die Bilder als Fälschung darzustellen. Die Leute glaubten nur zu gerne an virales Marketing, doch dann gab es zu viele Leute, die selbst Augenzeuge von solchen Phänomenen wurden.“

Werbung? Wofür? Einen neuen verdammten Grill?“

Wir haben das Glück, dass das Medieninteresse nach dem ersten Aufflammen dieser Leute recht schnell wieder erloschen ist, und wir effiziente Lösungsmöglichkeiten gefunden haben, um mit den Betroffenen umzugehen.“

Sie wollen also allen Ernstes behaupten, dass die Aufnahmen echt sind.“ Sam hatte sich auf die Ellbogen gestützt und wirkte wie jemand, der dringend einen Drink nötig hatte.

Zu meinem Bedauern ja.“

Scheiße.“ Liz' Augen waren groß und ungläubig.

Der Professor wirkte eher pikiert als erschüttert. „Durchaus interessant, aber welche Relevanz hat das für unsere momentane Lage? Sie erwarten sicherlich, dass ich ein gewisses Forschungsinteresse an diesen offensichtlich neuartigen Mutationen habe, aber meinen Sie nicht, dass es bis zu unserer Entlassung hätte warten können?“

Es freut mich, dass Sie fragen.“

Mittwoch, 4. Mai 2011

2.5. Besuch

„Alles in Ordnung mit dir?“

Sie zuckte die Schultern, schnappte sich einen der Teller, auf dem ein Sandwich seinen farblosen Belag der Welt offenbarte, und verzog sich wieder auf ihr Bett.

„Ms. Carmichael geht es ausgezeichnet. Sie ist nur überrascht von ihrer neuen Situation, aber ich nehme an, das geht ihnen allen so.“

„Verzeihen Sie...“ Goldstein machte eine kurze Pause, in die die Höflichkeit geboten hätte, dass der Arzt seinen Namen einfügte, was dieser geflissentlich ignorierte, „es scheint einiges an Zeit vergangen zu sein, wenn ich nach Liz' Haarlänge und dem Wetter urteilen darf. Wären Sie so gut, uns zumindest darüber aufzuklären?“

„Herrlich, nicht? Die Tage sind schon recht mild. Sie haben sich einen Tag ohne Sonnenschein ausgesucht, um aufzuwachen.“

„Beantworten Sie die verdammte Frage.“ knurrte Liz. „Wann und wo?“

Der Arzt zögerte kurz, schien seine Optionen durchzugehen, setzte dann wieder ein Lächeln auf. „März. San Francisco.“

Der Professor zog die Brauen hoch. „Erstaunlich. Die Mission startete im Dezember. Wir waren also...“

„Eine ganze Weile weg.“

Die Stimme war neu und steckte in einer Uniform, die Liz reflexartig salutieren ließ.

„Es freut mich, dass es Ihnen so weit gut geht.“ Der General lächelte dünn und unterzog die drei Patienten mit stahlgrauen Augen einer Musterung. Er mochte um die sechzig sein, ein gealterter Mr. Darcy, dessen Herz dem Militär und nicht britischen Damen gehörte. Er baute sich im Raum auf und legte die Hände hinter dem Rücken übereinander, während sein Adjutant auf einen Stuhl kletterte, um einen mitgebrachten Laptop an den Fernseher anzuschließen.

„Sir?“

„Miss Carmichael?“

„Captain Carmichael.“ korrigierte sie automatisch. Er nickte kurz, unverbindlich.

„Was ist denn passiert?“

„Woran erinnern Sie sich denn?“

Kurz zuckten ihre Augen hinüber zu ihren Jungs.

„Technische Probleme. Sabotage. Es muss Sabotage gewesen sein. Wir bekamen eine unautorisierte Datentransmission, die wir nicht zuordnen oder abbrechen konnten, und dann begann das Desaster.“

„Eine Übertragung?“ Leben war in Goldstein gekommen.

„Die Rechner spuckten schlagartig nur noch Müll aus. Sinnlose Codesequenzen. Dann Zahlen, als würde jemand den verdammten Kurs neu berechnen.“

Goldsteins Blick war erst zweifelnd, doch dann legte sich seine Stirn in tiefe Falten. „Interessant.“ murmelte er.

„General...“, ein Blick auf dessen Namensschild, „...Holbrook. Konnten die Reste der Kapsel geborgen werden? Wurde die Blackbox schon ausgewertet?“

„Wir wissen nur, was unsere Geräte aufgezeichnet haben. Nach der Absprengung schaltete sich ein Notsignal ein, mit dem wir Ihren Aufschlagspunkt bestimmen konnten. Carmichael scheint Sie manuell runtergebracht zu haben?“

Diese grunzte zustimmend. „Hab die Rechner abgeschalten. Haben nicht mehr auf Eingaben reagiert. Wir sind im Pazifik runtergekommen?“

„Ein gutes Stück vor der japanischen Küste. Gute Arbeit, Carmichael.“ Sie nickte kurz, bemüht, ihren Stolz nicht vor dem Vorgesetzten zu zeigen.

„Die Reste der Freedom liegen allerdings zu tief, um sie mit den momentanen Mitteln bergen zu können, und sie wissen, wie der Senat ist, wenn es darum geht, Gelder für unpopuläre Projekte locker zu machen.“

Er zog die Mundwinkel hoch und musterte die versteinerten Gesichter. Ehe sie zu Fragen ansetzen konnten, atmete er tief ein und fuhr fort.

„Sie haben einige interessante Änderungen verschlafen.“ Er nickte in Richtung des Adjutanten, der den Kampf gegen die Technik mittlerweile gewonnen hatte. Auf dem Fernseher materialisierte sich eine sepiagetönte Weitwinkelaufnahme des Mount Rushmore, über dem die Icons von mit Daten des letzten Monats versehenen Videos schwebten.

„Einige Aufnahmen von Überwachungskameras, und ein paar Brocken von CNN. Werfen Sie einen Blick darauf.“

Donnerstag, 17. März 2011

2.4. Jammerlappen.

„Müssen denn immer diese Ausdrücke...“ kam es schwächlich aus dem dritten Bett, wo Goldstein noch immer mit geschlossenen Augen lag.

„Professor? Sie sind wach?“

„Sam, ich bewundere Ihre Fähigkeit, das Offensichtliche zu konstatieren. Wären Sie so gut, ein Glas Wasser aufzutreiben?“

„An Ihrem Bett sollte ein Rufknopf für die Schwester sein. Dort, rechts neben Ihnen.“

„Diesen habe ich bereits betätigt. Sie sehen den Mangel an Reaktion.“

Liz war währenddessen aus dem Bett geklettert und hatte die Maschinen abgeschaltet, die eigentlich dafür hätten sorgen müssen, dass ein ganzes Team von Ärzten mit einem Defibrilator in das Zimmer gestürmt wäre.

„Glaube nicht, dass jemand kommen wird.“ Sie wankte mit steifen Beinen hinüber in Richtung der Türen, von denen eine offen stand und Zugang zu einem minimalistisch ausgestatteten Bad gewährte. Kurz darauf hörte man das Geräusch von laufendem Wasser.

Erst den Mund spülen, dann ein paar kleine Schlucke. Sie fuhr sich mit der feuchten Hand durchs Haar, was nicht viel besser machte, und ihr Blick blieb zum ersten Mal seit langer Zeit länger als nötig an ihrem Spiegelbild hängen. Etwas war falsch. Sie hielt den Kopf unter den kalten Strahl, bis ihr Hirn klarer wurde. Erneut starrte sie in die reflektierende Oberfläche. Nein, das hatte nichts besser gemacht. Noch immer schien das helle Blau ihrer Augen, das Einzige, in dem sie wirklich nach ihrer Ma kam, von einer Schicht aus reflektierenden Silberpartikeln durchsetzt zu sein, die ihre Iris spiegeln ließen wie kleine Teiche aus Quecksilber. Sie ließ sich auf den Toilettendeckel sinken und stützte den Kopf in die Hände.

„Bleiben Sie liegen, Goldstein, ich werde schon was finden.“ Sam machte sich auf in Richtung der Zimmertür, öffnete sie und blieb ruckartig stehen.

„Bleiben Sie bitte in Ihrem Zimmer, Sir.“

Sams Blick wanderte von der Waffe, die einer der beiden Soldaten, die vor der Tür Wache standen, reflexartig zu ihm herumgeschwenkt hatte, zu dem Mann und einen Flur hinunter, der seine Annahme 'Krankenhaus' bestätigte. Das hier sah nicht nach einer Militäreinrichtung aus.

„Nehmen Sie das Ding runter.“

Zögernd leistete der Soldat Folge. „Sir?“

„Wäre es möglich, uns den Zimmerservice zu schicken? Eine Schwester tut es auch.“

Der Soldaten starrte einige Atemzüge wie hypnotisiert auf die Gegend von Sams Hals, ehe er sich zusammenriss. „Sicher, Sir. Wären Sie so gut, bis dahin in Ihr Zimmer zurückzukehren?“

„Sind wir etwa ansteckend?“

Es war als Scherz gemeint gewesen, aber die uniformierte Gestalt straffte sich.

„Ich bin nicht befugt, Ihnen darüber Auskunft zu geben, Sir. Gedulden Sie sich bitte.“

Sam runzelte die Stirn und schloss die Tür hinter sich.

„Wird wohl ein Weilchen dauern, Goldstein. Wir stehen wohl unter Arrest. Alles in Ordnung bei dir, Liz?“

Er hatte das Häufchen Elend in dem weißgekachelten Raum entdeckt, das im weißen Licht einer Leuchtstoffröhre auf der Toilette saß und auf den Boden starrte wie ein ungeübter Trinker in den Morgenstunden im Club.

„Ist dir schlecht?“

Sie brummte unwillig.

„Sitzt du da gut?“

Nicken, ohne den Kopf zu heben.

„Melde dich, wenn du was brauchst.“ Er lehnte sich vor und boxte ihr freundlich gegen die Schulter, ehe er sich wieder auf seinem Bett niederließ, sich zurücklegte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte.

„Und sonst, Goldstein? Geht es Ihnen halbwegs?“

„Der Reaktor hat sich als nicht stabil genug erwiesen, um gegen Sabotage unempfindlich zu sein. Das hat Menschen das Leben gekostet. Was denken Sie, wie es mir geht?“

Noch immer starrte er aus dem Fenster, das Gesicht regungslos, die Stimme nicht mehr als der nüchterne Ton eines Nachrichtensprechers.

„Sie dürfen sich doch deshalb keine Vorwürfe machen. Alles, was man hätte erwarten können, war abgesichert. Das, was da oben geschehen ist, war unmöglich abzusehen.“

Der Professor schwieg, führte dann seinen Gedankengang zu Ende. „Beim nächsten Mal werde ich autarke Sicherheitssystem einbauen müssen, die sich nicht von fehlgeleiteten Computern beeinflussen lassen. Der menschliche Irrtum muss ausgeschlossen werden.“

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür. Schwester Morgan lugte erst in den Raum, ehe sie die Tür ganz öffnete.

„Sie wollten...“, sie haspelte und räusperte sich, als sich Sams Blick auf sie richtete, und strich sich das weiße Kostüm glatt. „Kann ich Ihnen etwas bringen?“

„Der Professor wünscht sich ein Glas Wasser. Und ich hätte gerne etwas zu essen.“

„Einen verdammten Haufen Essen.“ kam es dumpf aus dem Bad.

„Möchten Sie etwas Bestimmtes?“

„Überraschen Sie uns. Ich vertraue ganz auf Ihren Geschmack.“ Als Sam ihr zuzwinkerte, schoss ihr das Blut in die Wangen.

„Können Sie auf dem Weg eine Zeitung auftreiben?“, er blickte sie fragend an. „Wir haben vermutlich einiges verpasst.“

„Sicher, Sir. Bin gleich wieder da.“

Sie verschwand, auf dem Gesicht einen Ausdruck von Dankbarkeit. Sie war froh, den Briten nicht mehr anschauen zu müssen. Etwas war seinen Hals hochgeflimmert, als er sprach, und hatte seinen Mund überdeckt wie das Flimmern der Hitze über dem heißen Teer einer Straße an einem Sommertag. Der Doktor hatte sie gewarnt, dass bei den dreien körperliche Anomalien auftauchen könnten, aber sie hatte eher mit etwas Normalerem gerechnet.

Sam stand vor dem Fernseher und schaltete durch die Kanäle, in denen nichts als statisches Rauschen zu finden war.

„Kein Kabel angeschlossen. Sie können noch lange dort stehen, es wird nicht besser.“

„Man scheint viel Wert darauf zu legen, uns die Welt momentan zu ersparen. Sehr fürsorglich.“ Er drückte den Kopf, und das schwarz-weiße Ameisentanzen erstarb.

„Herrschaften?“ Die Tür wurde aufgedrückt. Der Arzt hielt sie auf, um dem metallenen Servierwagen, den die Schwester vor sich her schob, den Weg zu erleichtern, ehe er sich mit wachen Augen im Raum umblickte. „Schon auf den Beinen, Mr. Reignsbury? Sie gehören ja zur ganz schnellen Sorte. Mr. Goldstein ist auch wieder wach...und Ihre Kollegin?“

Sam nickte in Richtung des Badezimmers.

„Ich kümmere mich gleich um Sie, Mr. Goldstein. Bringen Sie ihm doch schon einmal ein Glas Wasser, Morgan.“

„Professor.“ tönte es von dem Bett, in dem dieser lag. „Professor Goldstein.“

„Natürlich. Professor.“ Der Arzt war schon halb im Bad verschwunden. „Wie fühlen Sie sich, Ms. Carmichael?“

„Haben Sie ein paar Minuten?“ Die dünne Holztür wurde hinter ihm zugeschlagen.

Drei Augenpaare richteten sich gleichzeitig in die Richtung des Geräusches. Als weder Schreie noch ähnliche Geräusche herausdrangen, die üblicherweise Liz' Unmut begleiteten, kam wieder Leben in die Gruppe.

„So, Herr Professor. Ein Glas Wasser für Sie. Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen? Einen Tee? Eine Kleinigkeit zu essen?“ Goldstein schüttelte ablehnend den Kopf.

„Das ist im Moment alles. Danke.“

„Und für Sie habe ich...“, sie begann, die bunten Plastikdeckel abzunehmen, die die Teller darunter so lauwarm hielten, wie sie aus der Krankenhausküche gekommen waren, „etwa von allem, was ich auftreiben konnte. Und, weil Sie es sind, das weiße Gold, das Patienten sonst nie bekommen.“ Sie zog einen Salzstreuer aus der Tasche ihrer Uniform.

„Sie sind ein Goldstück.“, strahlte Sam und ignorierte gekonnt die bleiche Färbung und die Breiartigkeit der Nahrungsmittel auf den Tellern. „Und die Zeitung?“

„Der Doktor sagt, dass Sie im Moment noch keine Zeitung lesen sollen. Sie dürfen sich nicht aufregen.“

„Was haben wir denn?“

Die Schwester schnappte nach Luft. Sie war nicht autorisiert, diesen Leuten eine Diagnose mitzuteilen, so gern sie das bei normalen Patienten auch tat, und hier hätte sie es nicht einmal gekonnt. Die Ärzte hatten sie nur notdürftig eingeweiht und wachten mit Argusaugen über die Akten.

„Jemand ist auf dem Weg hierher, um sich genau darüber mit Ihnen zu unterhalten, Mr. Reignsbury. Haben Sie noch etwas Geduld. Und leisten Sie uns doch wieder Gesellschaft, Ms. Carmichael. Essen Sie einen Happen, dann fühlen Sie sich gleich besser.“ Der Arzt war unbeschadet aus dem Bad getreten, und Liz kam zögernd hinter ihm her.

Freitag, 4. März 2011

2.3. Währenddessen, ein paar Blocks weiter.

Der General war wohl einer der wenigen Leute, die einen Dienstwagen mit Fahrer nur begrenzt zu schätzen wussten. Er hatte es sich auf den ledernen Sitzen bequem gemacht, die Uniformjacke säuberlich ausgebreitet, und blätterte wieder einmal durch die Akten der drei Überlebenden.

Die kleine Carmichael. Er war damals, als die ersten großspurigen Berichte über die Mission über den Bildschirm flimmerten, erstaunt gewesen, dass ihr Vater es erlaubt hatte, dass sie mit der Familientradition brach und ihre Einheit bei den Marines verließ.

Über den Rang des Captain hatte sie es nie gebracht, und nach den Notizen in den Akten zu gehen, hatte sie es nie versucht. Sie kam wohl nicht nach dem alten Ulysses.

Elizabeth Carmichael schien der Typ Mensch zu sein, der auf einen Befehl durchs Feuer ging, ohne Fragen zu stellen. Eine ganze Reihe Auszeichnungen, aber keine Führungsqualitäten. Musste fliegen können wie der Teufel.

Er hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, seinen alten Kameraden in den Verbleib seiner Tochter einzuweihen, aber Ulysses war ein Mann, dessen Posten so wie sein eigener Geheimnisse mit sich brachte. Er würde verstehen, warum er Schweigen bewahren musste.

Sam Reignsbury. Der Brite. War wohl ein Ingenieur, danach noch auf dem MIT gewesen und dem Projekt aus eher Quotengründen aufgezwungen worden, um einen Offiziellen des Empires mit an Bord zu haben. Auf dem Bild in seiner Akte grinste er etwas zu zufrieden in die Kamera.

Und hier...der Professor. Dem Bild nach hätte man ihn auf einem antikommunistischen Propagandaplakat vermutet, wo er den Bolschewik mit überlegenem Lächeln abwehrte. Optisch mochte er ein Frauenschwarm sein, aber es schien nicht gereicht zu haben, um seine Ehe zu erhalten. Ob seine Exfrau darüber gelacht hatte, dass sie ihn so kurz nach der Scheidung ins All geschossen hatten?

Dieser J.G. Goldstein war also Atomphysiker mit einer durchaus beeindruckenden Vita. Er schien auf die Teilnahme an der Mission bestanden zu haben und damit durchgekommen zu sein, weil er den Reaktor des Antriebs erfunden hatte. Der 'Goldstein-Reaktor', Er schien ja Ideen zu haben, aber an den Namen musste er arbeiten.

Keiner der drei schien außer den Eltern noch engen familiären Anhang zu haben, das war von Vorteil. Er hoffte, dass sie kooperieren würden.

Freitag, 25. Februar 2011

2.2. Und das alles ohne Kaffee.

„Sir, der Erste ist aufgewacht. Seine Vitalfunktionen sind erstaunlich. Normalerweise folgt einem künstlichen Koma Angst und Desorientierung, aber er wirkt, als hätte man ihn aus dem Tiefschlaf hochgeholt, nicht mehr. Sie haben die Krankenakten gelesen?“

Am anderen Ende der Leitung nickte der General knapp, ergänzte die Geste dann mit einem „Ja.“

„Die Hautanomalie hat sich nicht weiter ausgebreitet, aber sie scheint zu wandern. Mit unseren Mitteln konnten wir sie nicht erfassen.“

„Warum haben Sie ihn ohne mein Okay aufgeweckt, Doktor?“ Der Gedanke war ihm gerade erst gekommen, und der Ärger in seiner Stimme war ein Donnergrollen.

„Haben wir nicht, Sir. Sein Metabolismus scheint sich gegen die Narkotika durchgesetzt zu haben.“

„Können Sie versuchen, die anderen zu wecken? Ich hätte Reignsbury ungern alleine. Wir wissen nicht, wie stabil er unter diesen Umständen ist.“

„Sind Sie sicher, Sir?“

„Gibt es medizinische Einwände?“

„Nein, aber...“

„Holen Sie die anderen vorsichtig hoch, und lassen sie zusammen aufwachen. Streamen Sie mir die Daten der Überwachungskamera . Ich bin unterwegs.“


Sam dämmerte wieder hoch. Sie hatten ihm etwas in den Tropf gespritzt, an dem er hing, das ihn ausgeschaltet hatte wie ein Hammer auf den Kopf. Er versuchte, sich aufzurichten, erwartete zittrig zu sein, schwach, aber er fühlte sich gut. Ausgehungert, aber gut.

Seine nackten Füße kamen auf dem kühlen, glatten Boden auf. Er versuchte zu rekapitulieren, sich zu erinnern, was geschehen war. Das, was da an Gedanken in ihm hochstieg, war hässlich. Ein Wunder...

Da drüben in den beiden Betten waren vertraute Gestalten, ebenso verkabelt wie er. Liz wirkte deplatziert im Krankenbett, zu stark und stabil, um sich von irgendetwas zerstören zu lassen. Ihr blondes Haar stand wirr vom Kopf ab, war länger, als Sam es je bei ihr gesehen hatte. Ihre Lider zuckten, als würde sie träumen.

Dort drüben lag Goldstein, sauber rasiert und gekämmt, der tragische Held einer Serie aus den Fünfzigern. Jemand schien sich mit ihm die Mühe gegeben zu haben, die er bei Liz gespart hatte. Der Professor hatte den Kopf ein wenig zur Seite gedreht, schien sich wie eine Pflanze zum spärlichen Licht zu wenden, das durch die Vorhänge drang.

Sam atmete durch, zog dann entschlossen die Nadel aus seinem Arm und befreite sich von den Plastikschläuchen in seiner Nase. Ein kurzes Betrachten der Überwachungsgeräte, ehe er auf ein paar Tasten drückte und die Anzeigen verloschen. Er war sich sehr sicher, in der nächsten Zeit nicht zu sterben. Dass er die Kabel behutsam aus den Pads entfernte, statt sie fortzureißen, war berufliche Gewohnheit.

Prüfend trat er auf, selbst verblüfft, dass sein Körper funktionierte. Ein paar zögernde Schritte durch den Raum, um am Fenster zum Stehen zu kommen. Den Vorhang zur Seite ziehen.

Sein Blick glitt über Hochhäuser, dann hinunter auf die feucht glänzende Straße, an deren Rändern sich Bäume mit dem ersten Grün des Frühlings schmückten. Der Himmel hing wie ein ungewaschenes Leintuch über den Dächern und verriet nicht, wie spät es war.

Sam lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe, meinte kurz, die frische, regenklare Luft dort draußen schmecken zu können.

Sie waren tot.

Die Feststellung hatte in seinem Hinterkopf gelauert, gebrütet, seit jenen unseligen Minuten auf der Freedom, wo das Adrenalin sie fortgespült hatte. Er hatte die Besatzung, seine Freunde, sterben sehen, und war davongekommen. Dass er während des Systemausfalls nicht auf seiner Position gewesen war, war nicht mehr als ein Zufall. Glück. Reines verdammtes Glück.

Sein Magen zog sich bei dem Gedanken zusammen.

Das empörte Piepsen eines Herzmonitors riss ihn aus seinen Gedanken.

Liz saß aufrecht im Bett, hatte mit einer hastigen Bewegung den Großteil der Kabel von sich gezerrt und versuchte sich zu orientieren, ihren panikgeweiteten Augen nach erfolglos. Ihr Atem ging stoßweise.

„Ist okay, Liz. Ist okay.“ Sam bemühte sich um eine beruhigende Tonlage, aber mehr als ein belegtes Krächzen bekam er nicht heraus.. Ihr Blick flackerte umher, fokussierte sich auf ihn. Die Pupillen waren schwarze Löcher im bleichen Gesicht.

„Liz, wir sind im Krankenhaus. Du hast uns runtergebracht. Wir sind okay.“

Der Atem wurde langsamer, und ein wenig wich die Spannung aus ihrer Gestalt. Schweigend wurden erst der Raum, dann Sam, dann das Bett unter sich und schließlich Goldstein in Augenschein genommen.

„Scheiße.“ sagte sie hingebungsvoll.

Dienstag, 22. Februar 2011

2.1. Guten Morgen, Welt.

Graues Tageslicht drang durch den bleichen Stoff der Vorhänge, die den Regentag draußen von der sterilen Umgebung des geräumigen Raumes trennte, den Schwester Morgan auf leisen Sohlen durchschritt.

Sie mochte dieses Zimmer. Die Patienten waren seit zwei Monaten hier, und sie waren so angenehm ruhig. Einmal am Tag kam sie hierher, um nach ihnen zu sehen, sich dann auf einem Stuhl niederzulassen, die Füße hochzulegen und ein wenig zu verschnaufen.

Sie hatte begonnen, die beiden Soldaten vor der Tür als persönliche Leibgarde zu sehen, die ihr den Alltag vom Hals hielten.

Morgan wusste nicht, wer die drei waren, die da schlummerten, an im ruhigen Rhythmus ihres Herzschlags piepsende Geräte angeschlossen. Sie sah zwar fern, aber nach der Schicht in der Klinik brauchte sie nicht noch mehr Gräuelmeldungen aus den Nachrichten.

Die beiden Männer und die Frau mussten einen schweren Unfall hinter sich haben. Als sie zu ihnen gekommen waren, waren sie kaum mehr als Trümmer, und selbst jetzt sah man noch die rosige, glatte Haut, die sich über den Verbrennungen gebildet hatte.

Es mussten wichtige Leute sein. Der Chefarzt persönlich war bei ihnen gewesen, zusammen mit einigen Gesichtern, die die Assistenzärzte raunend als 'Forscher' bezeichnet hatten – andere Leute hätten den Ton für 'Frankenstein' verwendet.

Die Schwester konnte es nicht lassen, wie jeden Tag sanft über die Wange des Dunkelhaarigen zu streichen, nachdem sie ihn rasiert hatte. Seine markante Kinnpartie hätte sicher jeder Frau die Knie weich gemacht, läge er nicht hier.

„Männer wie du werden heute nicht mehr gemacht, und dann trifft man mal einen, und was ist? Er liegt im Koma.“ Sie seufzte schwer.

Seine Lider zuckten leicht, als sie sich abwendete.


Der General war nicht glücklich. Als sie ihn zu diesem Projekt abgestellt hatten, klang es nach einer großen Ehre. Astronauten. Eine davon sogar ein Marine. Damit konnte man doch arbeiten...wenn sie nur wach wären.

So blieb ihm nichts, als in San Francisco zu bleiben und zu warten.

Was sollte man von diesen so genannten Novas auch erwarten? Alles, was er bisher gesehen hatte, war, dass es größere Geschütze brauchte, um sie umzubringen.


Schwester Morgan schreckte hoch. Sie musste eingenickt sein bei ihrem wohlverdienten Päuschen. Kurz brauchte sie, um sich zu orientieren. Etwas war falsch, hatte ihren über die Jahre antrainierten Instinkt anspringen lassen. Die Geräusche der Maschinen waren normal. Der Hübsche döste, genau wie die Frau. Der dritte, der mit dem langen Gesicht, hatte die Augen geöffnet.


„...wach? Können Sie mich hören, Sir? Sind Sie bei uns?“

Die Stimme drang durch weiche Wolken zu Sam herab. Er hatte sich Gott immer anders vorgestellt. Er versuchte etwas Geistreiches, aber was aus seiner trockenen Kehle drang, war nur ein Ächzen.

„Ich hole den Doktor!“

Die Schwester stürmte davon. Ihr Horoskop hatte sie heute morgen vor Überraschungen gewarnt, aber sie hatte auf etwas anderes gehofft.

Sams Augen schwammen. In der Helligkeit zeichneten sich langsam Umrisse ab, die nicht zu dem passten, woran er sich erinnerte. Bett. Stühle. Tisch. Ein geschmackvoll-friedlicher Druck einer Landschaft in dezenten Farben. An der Wand befestigt der tote Bildschirm eines Fernsehers. Und kein Raumschiff.

Er hob die Hand, um sich über die Augen zu reiben. Kanüle. Ein Zugang steckte in seinem Arm, mit Klebeband fixiert.

'Krankenhaus.' tickte es in seinem Kopf. Vorsichtig tastete er nach den Kabeln und Schläuchen, die etwas an seinem Körper mit Geräten verbanden.

„Willkommen unter den Lebenden, Mister Reignsbury.“

Jemand war an sein Bett getreten. Hochgewachsen. Kittel. 'Arzt.' tickte es. Ja, das ergab Sinn.

„Wie fühlen Sie sich?“

„Blendend.“ krächzte er nach einigen Anläufen. „Wo sind...“

„Ihre zwei Kollegen sind am Leben. Nachdem Sie wieder bei uns sind, bin ich guter Hoffnung, dass die beiden auch aufwachen. Bleiben Sie liegen, Mister Reignsbury. Ich werde Sie kurz untersuchen, und dann ruhen Sie sich ein wenig aus.“

„Was ist denn...“

Der Arzt leuchtete in seine Augen, nickte zufrieden ob der Reaktion der Pupillen.

„Ihre Pilotin hat es geschafft, die Kapsel zu wassern. Es grenzt an ein Wunder, dass jemand überlebt hat.“

Er wandte sich von Sam ab, um einen Blick auf die Anzeigen der Geräte zu werfen.

„Sie scheinen recht fit zu sein. Die Schwester bringt Ihnen gleich etwas, damit Sie noch ein bißchen schlafen können. Dann sieht die Welt gleich netter aus.“

Sein Ton duldete keinen Widerspruch.

Freitag, 18. Februar 2011

1.2. Anderswo an Bord. Ein wenig früher.

„Heilige Scheiße.“ Liz starrte auf die Zeichen, die Bruchstücke von Buchstaben, die über ihre Monitore flimmerten. „Andy, was ist das?“

„Blöder Zeitpunkt für eine Fehlfunktion.“

„Ground Control? Wir bekommen hier was Seltsames rein.“ Sie lauschte angestrengt. „Ground Control? Hören Sie mich?“

„Liz, die Konsolen reagieren nicht. Und das hier...“ Andy deutetet aufgeregt mit dem Finger auf eine der Anzeigen, deren aufgeregtes Flimmern sich langsam beruhigte. Neue Zahlen.

„Wer pfuscht da in meinem Kurs rum? Andy, bring das in Ordnung, verdammt!“

Rote Dioden leuchteten auf, unheilvolle Sterne auf dem Metall der Konsolen.

„Ausfälle in allen Bereichen. Kann nicht sein.“

„Carmichael an Crew! Status?“ Liz brüllte durch die Funkanlage. „Status?“ Die einzige Antwort war ein hochfrequentes Pfeifen.

Sie befreite sich aus den Gurten. „Fahr die Notsysteme hoch. Ich schau mir das an.“

Durch die Schleuse hinaus in den Aufenthaltsbereich, der verlassen war. Die Crew musste hinten sein, im Labor, oder in ihren Betten. Die Beleuchtung hier war an, und es gab keine Schäden. Sie hangelte sich weiter.

Für einen Moment wurde es finster, ehe die bernsteinglühende Notbeleuchtung aufflammte.

„Liz, klappt das?“ drang Andys Stimme durch ihr Headset.

„Roger, ich hör dich. Verbesserung in den Systemen?“

„Hinten hat es einen Druckabfall gegeben. Die Labors wurden abgeschottet. Der Computer spinnt.“

Liz stieß sich ab, wieder zurück ins Cockpit. Andy hatte die gleiche Idee gehabt wie sie und war dabei, sich in einem Raumanzug von der Umwelt abzuschotten. Sie streckte ihm einen erhobenen Daumen entgegen und machte sich auf den Rückweg.

„Mach keinen Scheiß, Liz.“

„Meine Leute sind da hinten!“

„Carmichael, wenn sie da hinten sind, sind sie tot!“

Sie schnaubte nur.


Goldstein war trotz seiner misslichen Lage erstaunt. Er saß im Halbdunkel und rekapitulierte die Kontrollwerte seines Reaktors. Es sah ganz so aus, als hätten die Piloten vor, einen neuen, beachtlichen Schub zu geben, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. Dann waren die Anzeigen eingebrochen, hatten fehlerhafte Zeichen produziert, und die Reaktorkontrolle hatte die Notverriegelung des Kerns aktiviert. Als er Dr. Mehotra mit herausgetretenen Augen und verfärbtem Gesicht draußen vorbeitreiben sah, nahm er zum Anlass, seinen Schutzanzug komplett zu schliessen. Dass die Funkverbindung nach draußen abgebrochen war, beruhigte ihn nicht. Wenn man allerdings einige Kabel umsteckte...


„Liz?“ Andys Stimme rauschte durch den Funk. „Eine der Kontrollleuchten des Reaktors blinkt anders. Da morst jemand ein SOS.“

„Aus dem Reaktor?“ Das Adrenalin pumpte durch ihr System. Sie war nach hinten vorgedrungen, hatte Teile der Crew gefunden, denen Kälte und Vakuum zu einem schnellen und unangenehmen Tod verholfen hatten.

Die Quelle des Problems war bald gefunden. Die hintere Luftschleusen war geöffnet worden, ohne dass das innere Schott versiegelt gewesen war. Unmöglich. Dazu hätte man Sicherheitsabfragen, die tief in der Hardware des Schiffs verankert waren, manuell und mit vollem Körpereinsatz abschalten müssen. Die Schalter waren unberührt.

„Scheiße, Andy, was ist hier los? Irgendjemand ist hier durchgetickt!“

In ihr Ohr drang ein neues Signal, ein rhythmisches Knattern und Fiepen, Maschinen, die miteinander sprachen. Andys unverständliche Worte ein Störsignal dazwischen. Die Warnlampen begannen, mit dem Atem der Maschinen zu blinken, regelmäßiges Rot. Das Vakuum schluckte den Sirenenlärm.


Goldstein beobachtete die Gestalt, die sich vorsichtig durch die Schwerelosigkeit bewegte. Ihm war die Sinnlosigkeit bewusst, gegen die Scheibe zu klopfen, versuchte statt dessen, mit winkenden Armen auf sich aufmerksam zu machen, und tatsächlich wandte die Person im Anzug den Kopf zu ihm. Auf dem Visier des Helms spiegelte sich sein Umriss im Kontrollfenster und ein grelles, pulsierendes Leuchten hinter ihm. Der Reaktor war wieder zum Leben erwacht, nur dass die Werte, die auf den Bildschirmen ausgegeben wurden, nicht in einer Sprache kamen, die er verstand. Die Höhe der Skala, die die Belastung des eindämmenden Magnetfelds angab, war aber eindeutig. Der Professor gab sich noch fünf Minuten, ehe sich der Reaktor überhitzte und durch das umgebenden Titan fraß. Welch eine Verschwendung von Talent.


Liz riss an der Entriegelung der Reaktorkammer. Da war noch einer am Leben! Sie zerrte an der schweren Tür, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand daneben. Endlich! Ausströmende Atmosphäre ließ den Mann in der Kammer in ihre Richtung treiben, und sie packte ihn am Arm, um ihn fortzuziehen. Goldstein wehrte sich nicht, brauchte aber kurz, um sich darauf zu besinnen, ihr zu helfen.

Weg, nur weg. Liz lief im Automatikmodus. Den Wissenschaftler mitziehen, die Luke zu den Labors hinter sich verriegeln. Weiter nach vorne. Sie hatten Notsituationen geübt, nie in dem Glauben, in eine zu kommen oder darin lang genug zu überleben, um es auch nur zu versuchen. Weiter.

Als sich die Luftschleuse öffnete, die den Zugang von außen zum Cockpit erlaubte, fuhr ihre Hand vergebens dorthin, wo ihre Waffe gewesen wäre. Ein weiterer Mann im Raumanzug, leblos zusammengekrümmt, driftete herein. Goldstein warf einen Blick auf ihn, hob eine Hand, bedeutete ihr Ruhe zu bewahren, und hakte dann die Gurte seines Anzugs an dem des anderen ein, um ihn mit sich weiter nach vorne zu ziehen.


Der Cockpit war ein Meer von blinkenden Lichtern. Eine Sequenz von Zahlen flimmerte über die Monitore, sich immer wiederholend. Andy war in seinem Sitz zusammengesunken. Der Luftschlauch seines Anzugs war in die Sauerstoffversorgung des Schiffes eingesteckt, wohl um seine Flasche zu schonen. Liz bedeutete Goldstein, die Versorgung umzustellen. Vielleicht war er nur bewusstlos. Sie selbst versuchte, den Rechnern irgendeine Reaktion auf ihre eigenen Eingaben zu entlocken, schlug dann mit der Faust auf eines der Tastenfelder und klappte den Deckel zur Notabschaltung der aller sekundären Systeme hoch. Sie würde das Baby per Hand fliegen müssen.

Für den Professor hatte ein schneller Blick in Andys blau verfärbtes Gesicht genügt, um einzusehen, dass es für weitere Maßnahmen zu spät war. Er schnallte ihn ab und schubste ihn in die Schwerelosigkeit. Den Mann, den er mit sich gebracht hatte, schnallte er am Boden fest wie ein Gepäckstück, ehe er selbst an den Konsolen Position bezog.

Liz drehte den Griff, der die Systeme außer Kraft setzte, und zog den Zylinder darunter hoch. Das Blinken hörte auf, und die Bildschirme wurden schwarz. Das mechanische Knarzen, dass sich in ihr Hirn gefressen hatte, verstummte, und es war still.

Sie drückte auf den roten Knopf, der die Abkopplung der vorderen Kapsel einleitete, und sprach ein kurzes Gebet. Das würde ein Höllenritt werden.

Dienstag, 15. Februar 2011

01 - Die Mission

Die OMS-Triebwerke brannten einen kurzen Ausstoß des Methyl-Hydrazin Treibstoffs ab und rotierten, diesem Impuls folgend, das Schiff gemächlich um die eigene Achse. Es folgte den Perimetern der zuvor eingegebenen Ausrichtung. Im Kontrollraum hing Pilotin Elizabeth Carmichael neben den Monitoren an einer der gewölbten Wände. Die Dioden der Messinstrumente und der, für das Auge kaum wahrnehmbar flackernden Bildschirme tauchten den sterilen weißen Raum in ein Licht, dass unzählige farbige Schatten warf. Mit einem dezenten Schubs, der die korrekt dosierte Stärke hatte, um den Raum zu queren, ohne jedoch in der Enge gegen die Schalter und fragilen Konsolen zu geraten, überflog sie Andy, einen der Techniker, der damit beschäftigt war die eingehenden Auswertungen der Bodenkontrolle zu studieren. Jede der kryptisch anmutenden, digitalblauen Zeilen auf dem Schirm quittierte er, ohne es selbst zu merken, mit einem konzentrierten Zusammenkneifen der Augenlider. „Ich werde mal sehen ob dein Chef inzwischen herausgefunden hat was mit den Lichtern der Außenkonsole auf sich hat. Oder ob lieber mal jemand danach sieht, der sich damit auskennt.“, scherzte Liz, wie sie von den meisten der neun anderen Crewmitgliedern genannt wurde, und gab gleichzeitig das Verlassen des Kontrollraums zu Protokoll. Andy starrte ohne aufzusehen weiter in das blaue Licht vor ihm, signalisierte aber, mit einem subtilen Wink seiner Rechten, dass er verstanden hatte. Kurz darauf, Liz hatte bereits die Schleuse erreicht und war nun dabei sich in horizontaler Position vorwärts zu hangeln, sah er doch noch von seinem Pult auf und rief der schwebenden Astronautin hinterher: „Dann erinnere Sam auch daran, dass er vor über einer Stunde versprochen hat Kaffee mitzubringen!“.


Professor Goldstein hockte aufrecht in seiner Schlafmulde die vom oberen bis zum unteren Ende einer der Wände reichte. Die Klettbänder seines Overalls verhinderten, dass er, während er vollkommen in das Buch das er in Händen hielt vertieft war, unkontrolliert durch den Raum segelte.

„Anti-zyklische Bahnberechnungen im x-dimensionalen Raum“ war eigentlich weniger ein Buch, als eine wissenschaftliche Arbeit eines Forscherkollegen. Das Volumen des sorgsam gebundenen Blätterstapels jedoch lies durchaus auf die inhaltliche Imposanz eines Abenteuerepos schließen und Goldstein hatte die Arbeit auch tatsächlich aus Gründen angenehmer Ablenkung vom Arbeitsalltag mit an Bord der Freedom genommen. Leider wurde er umso enttäuschter, je weiter er darin vorankam. Lieferte der Autor, ein aus den Augen verlorener Freund aus Zeiten ihrer gemeinsamen Promovierung, anfänglich noch einige gewagte aber auch interessante Thesen zutage, entbehrten die Zusammenhänge, seiner Meinung nach, mehr und mehr jeglicher Grundlage. Genervt legte er das Manuskript vor sich in der Schwerelosigkeit ab und sah aus dem Augenwinkel wie sich seine Kollegin spiralartig Weg in die Unterkünfte bahnte.

„Haben sie Samuel gesehen?“, kam Elisabeth ohne weitere Umschweife direkt zum Grund ihres Besuchs.

„Haben sie versucht Herrn Reignsbury über das Com zu erreichen?“, kam nüchtern zurück. Der Professor hatte angefangen sich aus der Halterung seiner Koje zu schälen. Mit seinen 45 Jahren war Professor Goldstein der älteste Teilnehmer der Mission und hatte sich, auch nach 6 Monaten intensivem Training im Team und dem erfolgreichen Start der Expedition, als etwas reservierter als die anderen Teilnehmer erwiesen. Ihm war eine nüchterne Zurückhaltung zu eigen, die aber durchaus von gegenseitigem Respekt geprägt war und sich hauptsächlich darin ausdrückte, dass er die anderen Teilnehmer der Mission noch immer beim Nachnamen nannte.

„Sie haben hoffentlich nicht vergessen, dass wir noch die Berechnungen des Transponders zusammen durchgehen wollten.“, erinnerte er Liz, die bereits wieder den zylindrischen Raum durchflogen hatte und an der nächsten Schleuse angelangt war.

„Ich dachte das Team von Sam wollte die Daten mit Ihnen durchgehen?“

Der großgewachsene Mann mit den krausen Locken sah seine Kollegin irritiert an, während er die letzten Klettverschlüsse von seiner Kleidung nestelte.

„Ist Reignsbury nicht mit einem Ausfall eines der äußeren Module beschäftigt?“

„Kein Ausfall!“, korrigierte Liz. „Eine Störung. Das Ding übermittelt merkwürdige Daten an die Rechner. Daten, die in keinem Zusammenhang mit tatsächlichen Außenbeobachtungen zu stehen scheinen.“

„Also doch ein Ausfall!“, gab Goldstein sich rechthaberisch. „Oder sind diese Daten zu irgend etwas von Nutzen?“

Liz behagte nicht, in welche Richtung sich diese Unterhaltung entwickelte. Als ranghöchster Offizier des Projektes hätte sie dieses Gespräch nun auch einfach für beendet erklären können, aber sie wusste natürlich, dass schlechte Stimmung an Bord auch niemandem half. Schon gar nicht hinsichtlich der vielen Monate die sie noch an Bord dieser Sardinenbüchse würden zusammen verbringen müssen. Genervt strich sie sich durch ihre Haare und erinnerte sich, abermals genervt, daran, dass sie die auch seit Tagen wieder hatte schneiden wollen. Schließlich war sie Soldatin - und lange Haare in der Schwerelosigkeit des Alls schlichtweg unpraktisch. Der Professor war sicherlich - daran zweifelte sie nicht einen Augenblick - ein brillanter Wissenschaftler und immerhin hatte er großen Anteil an der Entwicklung des Antriebs der Raumfähre, die sie nun schon seit einiger Zeit bewohnten, gehabt. Aber auf menschlicher Ebene hatte sie nach wie vor einige Schwierigkeiten mit ihm. Gespräche außerhalb der Arbeitsthematik fanden praktisch nicht statt, er gab sich höchst unnahbar. Sie fragte sich, ob nur sie sich daran stoß, vermutete aber sogleich, dass sie es wahrscheinlich einfach nur satt hatte ständig jedem an Bord des Schiffs Rechenschaft schuldig zu sein.

„Sam wollte sich längst darum gekümmert haben.“, versuchte sie sich vorsichtig wieder der eigentlichen Thematik zu nähern. „Aber bitte, fragen wir ihn doch!“

Sie schob sich zu einer der Kommunikationsschalttafeln, die in den meisten der Räumen angebracht waren, gab Sams Zifferncode ein und startete das Interface. Die Lautsprecher gaben ein kurzes Knacken von sich, das in langgezogenes Rauschen überging.

„Ja? Was gibt’s?“, konnten beide, undeutlich wie durch einen Wattenebel gesprochen, von der Gegenseite vernehmen.

„Professor Goldstein und ich hätten gerne gewusst ob es neue Erkenntnisse oder Fortschritte mit dem Außenmessgerät gibt. Sag mal, der Empfang ist ja furchtbar... magst du nicht kurz herkommen und uns aufklären? Ich kann vor lauter Rauschen kaum hören, ob du etwas sagst.“

Weiteres Rauschen.

„Das ist gerade eher schlecht, Liz. Weißt du, ich habe die Einheit jetzt bereits geöffnet um zu sehen wo der Fehler liegt. Ich vermutete ja erst, dass eventuell Weltraumschrott dagegen gedonnert sei – sieht aber ganz intakt aus das Ding...“

Liz und Goldstein sahen sich irritiert an.

Liz reagierte zuerst. „Bist du... bist du etwa DRAUSSEN?“

„Klar, ist ja eher schwierig die äußere Messeinheit von innerhalb des Schiffs auf Materialfehler zu überprüfen. Oh, und Liz – erinnere mich bitte daran wieder mehr zu trainieren! Ich wäre bereits beim Anziehen des Strahlungsanzugs beinahe gestorben – hatte ganz vergessen was für eine beschissene Bewegungsfreiheit man in den Dingern hat.“

Kurze Sendepause.

„Seid ihr noch da? Das Com ist echt scheiße!“

„Könntest du mal aufhören zu fluchen und mir sagen, weshalb du es nicht für notwendig hältst eine Außenmission vorher mit mir abzusprechen?“

Professor Goldstein, der inzwischen auch versucht war etwas hierzu zu sagen, wurde sogleich von einem weiteren Redeschwall ausgebremst. Liz war in Rage.

„Ihr beschissenen Zivilisten! Glaubt ihr wir sind hier auf einem Ausflugsdampfer? Ist dir eigentlich klar, dass ich meinen Kopf dafür hinhalte, wenn dir da draußen etwas passiert? Nicht dass es mir dann um dich leid täte!“

„Hat dir Andy nicht Bescheid gegeben? Hm... wenn ich's mir recht überlege wollte ich Andy nur Bescheid geben und hab's dann selbst vergessen... entschuldige bitte Liz!“, schepperte es kleinlaut aus den Boxen.

„Sieh zu dass du da draußen fertig wirst und dann komm schleunigst wieder an Bord!“

„Ist denn“, meldete sich nun, nachdem der Orkan vorüber gezogen war, doch auch Goldstein wieder zu Wort „ein dauerhafter Schaden der Einheit denkbar?“

Sam, der froh war wieder auf ein anderes Thema, als das Ignorieren der Befehlskette zu sprechen kommen zu können, griff das dankbar auf.

„Die Sensorik wurde jetzt erstmal von mir auf die hintere Sektion übertragen, weshalb Kursberechnungen theoretisch auch erstmal ohne auskommen sollten, aber ich hoffe natürlich trotzdem, dass ich das Teil wieder rechtzeitig flott kriege. Ich sehe mir das jetzt zu Ende an und bin dann sofort wieder beu euch. Over and out!"

Sam schraubte die zweite Abdeckung von dem kleinen weißen Kasten, der ursprünglich dazu in der Lage hätte sein sollen Objekte bis zu einer minimalen Größe von 2cm und in einer Entfernung von mehreren Meilen zu erfassen und diese Daten ins Innere des Schiffs zu speisen. Was er aber zuletzt tatsächlich lieferte war ein Datensalat. Sam konnte sich bislang nicht recht erklären woran das liegen konnte. Alles was er und der Rest der Crew wussten, war dass sie sich glücklicherweise nicht in einem Asteroidengürtel oder gar dem Inneren eines Gasriesen befanden. Genau diese abstrusen Daten lieferte das verdammte Ding nämlich wechselweise.

Er befestigte die abmontierte Klappe vorsichtig in der standardmäßig dafür vorgesehenen Tasche seines Werkzeugsets, welches wiederum am Äußeren seines Raumanzugs angebracht war und die Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit noch potenzierte.

Das Innere der Konsole sah unbeschädigt aus. Wenn überhaupt, dann musste die Sensorik defekt sein, denn alles andere hätte bei diesen sensiblen Instrumenten sicher einen Totalausfall zur Folge gehabt. Die Dioden, die mehreren unterschiedliche Vektoren und deren Ausrichtung im Raum zugeordnet waren blinkten in hübsch ungeordnetem Muster. Sam war sich nicht sicher ob das so sein sollte. Er prüfte ob die Antenne noch in der richtigen Ausrichtung angebracht war und musste aus dem Augenwinkel feststellen, dass die Dioden in einem Rhythmus funkelten, der sich im Abstand von einigen Sekunden zu wiederholen schien. Das konnte nicht sein. Selbst auf einer Route, die in gleichmäßigem Orbitalflug um einen Körper kreiste, hätten die Messdaten zumindest geringfügig unterschiedlich ausfallen müssen. Noch dazu war Sam als ob das Muster weniger Daten wiedergeben zu schien als vielmehr einen Rhythmus. Oder Sprache! Natürlich. Er besah sich das Blinken genauer und wagte kaum seinen Augen zu trauen. Wenn auch der Rhythmus nicht einfach zu erkennen war, da das Muster sich erst nach eine ganzen Weile wiederholte, so war es dennoch da.

Sam bemerkte, dass er schnell und nervös atmete. Er fummelte das Werkzeug zurück in seine Tasche und versuchte das Com zu aktivieren.

Exakt in diesem Moment zündete eine der Brennstufen und wirbelte das Schiff mit einem Impuls, der Sam beinahe davon getrennt hätte, herum.

„Sam, kannst du mich hören?“ Es war Liz, das Com offen. Ihre Stimme hysterisch und scheppernd.

Sam vernahm sie unter dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren nur wie durch einen Schleier hindurch. Er hielt sich krampfhaft an der Antennenhalterung des Schiffs fest und sah nur wie die kleinen Lichtpunkte entfernter Sterne Schlieren im Glasvisier seines Helms hinterließen.

„Liz, verdammt! Was passiert gerade? Scheiße - Ich bin doch noch draußen!“

„Sam? Sam? Die Sensoren melden einen unkontrollierten Energieausstoß und... Oh mein Gott, du musst sofort ins Schiff kommen, hörst du mich?“

Sam hatte bereits damit begonnen die Außenstruktur entlang zu klettern. Die unentwegte Rotation machte dieses Unterfangen wesentlich schwieriger als beim Ausstieg. Die rasant flirrende Umgebung der entfernten Lichtpunkte machte es äußerst mühsam sich auf die Stahlstreben zu konzentrieren, an denen er versuchte sich entlang zu hangeln. Hinzu kam eine stetig wachsende Übelkeit. Er versuchte den Würgereflex zu unterdrücken und das Weltraumkarussell um ihn herum auszublenden und zog sich mit raschen Bewegungen weiter.

Hätte er nicht versucht gezielt nur auf seine Hände vor ihm zu sehen, wäre ihm der schwarze, tennisballgroße Kegel vermutlich gar nicht aufgefallen, der an der Außenhülle klebte. So aber entdeckte er ihn. Wusste, dass er da nicht hingehörte. Wusste auch, dass er jetzt eigentlich keine Zeit hatte um sich um solcherlei Merkwürdigkeiten zu kümmern – und genau weil dies so war, schien ihn das Ding geradezu zu verhöhnen. Sam griff danach, stellte fest, dass es sich nicht so einfach vom Schiff lösen lies wie er gedacht hatte. Es war fest, lies sich aber mit einiger Kraft eindrücken. Wie aus Hartgummi, dachte er. Ein plötzlicher, kräftiger Ruck genügte dann jedoch. Das Ding ploppte, völlig geräuschlos, von der Oberfläche und hinterließ keinerlei Haftspuren an der Oberfläche. Sam steckte es an irgendeine Stelle seines Anzugs, während er bereits wieder mit der anderen Hand Schwung in eine Vorwärtsbewegung verwandelte. Da erst bemerkte er, dass Liz noch immer über das Com zu hören war, jedoch offenbar nicht mit ihm sprach. Zumindest hoffte er das, denn es hatten sich so viele weitere Geräusche aus dem Hintergrund in die Übertragung gemischt, dass er nicht mehr recht verstehen konnte, was gesagt – vielmehr geschrien – wurde. Und umgekehrt schien es nicht anders, denn auf sein Rufe schien Liz nicht zu reagieren. Das einzige was Sam in diesem Wirrwarr aus Geräuschen klar ausmachen konnte, war das laut zu vernehmende Alarmsignal aus dem Inneren des Schiffs, das alles andere übertönte. Sein Eindruck, an einem außer Kontrolle geratenen Karussell zu hängen verstärkte sich noch. Instinktiv schloss er die Augen. Die Dunkelheit schien eine willkommene Abwechslung und ihm dabei zu helfen, sich auf die 15 Meter, die noch bis zur Einstiegsluke zurückzulegen waren, zu konzentrieren. Noch bevor er damit gerechnet hatte, stieß er mit den Fingern, die in dicken Handschuhen steckten, an den schweren, metallenen Hebel der Einstiegsluke. Sam stemmte sich ihm entgegen und erschauderte. Das Dröhnen in seinen Ohren schwoll zu einem betäubenden Rasen an. Panisch öffnete er die Augen wieder und gab seiner unheilvollen Vermutung Gewissheit. Das Airlocksiegel leuchtete ihn rot blinkend und unheilvoll an. Ein Zeichen dafür, dass entweder die nächsthintere Schleuse nicht geschlossen war und die Außenluke somit, zur Sicherheit der im Inneren befindlichen Crewmitglieder, nicht geöffnet werden konnte, oder...

Sam führte den Gedanken nicht zu Ende. Er versuchte sich nochmals darauf zu konzentrieren, welches Warnsignal er vorhin durch die Kommunkationsanlage wahrgenommen hatte und bermerkte erst hierbei, dass er das ja immer noch tat. Er hatte dieses grauenvolle Tönen vollkommen ausgeblendet - aber es war immer noch da. Der Alarm verkündete ein Strahlungsleck! Ruckartig wuchtete er seinen Körper in dem unförmigen Anzug herum und sah zum ersten Mal, seit er versucht hatte die Luke zu erreichen, zum Heck des Schiffs. Die hintere Sektion stand lichterloh in Flammen. Die Antriebe waren gegen das grün-blaue Gleisen, das an einen überdimensionalen Schneidbrenner erinnerte, der die Flammen nicht mehr richtig zu bündeln in der Lage war, kaum noch auszumachen. Der Bereich, über den er sich noch vor wenigen Minuten hinweg gehievt hatte glühte und war unförmig verbogen. Mit einem gewaltigen Satz und einer Kraftanstrengung die purem Überlebenswillen zu entspringen schien, schob er sich an der Außenhaut weiter nach vorn und mißachtete hierbei die Sicherheitsvorkehrungen, die verlangt hätten, immer eine Hand abwechselnd am Geländer zu behalten. Wenn er die Wahl hatte, schien ihm der Tod durch ein langsames Wegdämmern, während er führerlos durchs All trieb angenehmer, als in den furchtbar wütenden Wogen des atomaren Feuers hinter ihm zu vergehen. Das Schiff raste unter ihm hindurch. Sam war, als würde er einen umgestülpten Eiskanal hinabgleiten. Undeutlich konnte er das Gefälle der vorderen Sektion erkennen, wo die Nase des Cockpits das Schiff spitz zulaufen ließ, während sich selbiges ächzend unter ihm dahin schraubte. Mit einer beinahe intuitiven Bewegung seiner Arme stoppte er seinen rasanten Flug durchs Vakuum. Nur einen knappen Meter bevor er über das Ziel hinaus, am vorderen Ende des Shuttles vorbei geschossen wäre. Er korrigierte kurz seine Position an der Außenwand der Cockpitsektion und fand schließlich was er, als letzte Möglichkeit einer beinahe hoffnungslosen Rettung, gesucht hatte: Die vordere Luke.

Hastig stemmte er sich gegen den wuchtigen Hebel und war beinahe überrascht, als er sich tatsächlich bewegen ließ. Der Deckel hob sich vollautomatisch und gab den Weg in den winzigen Zwischenraum frei, der für Sam einzige Hoffnung oder weiterer Sarg zu sein vermochte. Unfähig sich sinnvoll zu bewegen, betätigte er den Knopf des Öffnungsmechanismus im Inneren indem er mit irgendeinem Teil seines linken Beines dagegen stieß, während er unentwegt schreiend fluchte. In das anschließende, beruhigende Geräusch der sich schließenden Luke und das Einströmen von Sauerstoff mischte sich pures Unbehagen, als Sam begriff, dass Teile der Geräuschkulisse vom Knistern der schmelzenden Außenhülle kamen, von der ihn nun nur wenige Zentimeter trennten.

Dann umfing ihn Dunkelheit.