Freitag, 18. Februar 2011

1.2. Anderswo an Bord. Ein wenig früher.

„Heilige Scheiße.“ Liz starrte auf die Zeichen, die Bruchstücke von Buchstaben, die über ihre Monitore flimmerten. „Andy, was ist das?“

„Blöder Zeitpunkt für eine Fehlfunktion.“

„Ground Control? Wir bekommen hier was Seltsames rein.“ Sie lauschte angestrengt. „Ground Control? Hören Sie mich?“

„Liz, die Konsolen reagieren nicht. Und das hier...“ Andy deutetet aufgeregt mit dem Finger auf eine der Anzeigen, deren aufgeregtes Flimmern sich langsam beruhigte. Neue Zahlen.

„Wer pfuscht da in meinem Kurs rum? Andy, bring das in Ordnung, verdammt!“

Rote Dioden leuchteten auf, unheilvolle Sterne auf dem Metall der Konsolen.

„Ausfälle in allen Bereichen. Kann nicht sein.“

„Carmichael an Crew! Status?“ Liz brüllte durch die Funkanlage. „Status?“ Die einzige Antwort war ein hochfrequentes Pfeifen.

Sie befreite sich aus den Gurten. „Fahr die Notsysteme hoch. Ich schau mir das an.“

Durch die Schleuse hinaus in den Aufenthaltsbereich, der verlassen war. Die Crew musste hinten sein, im Labor, oder in ihren Betten. Die Beleuchtung hier war an, und es gab keine Schäden. Sie hangelte sich weiter.

Für einen Moment wurde es finster, ehe die bernsteinglühende Notbeleuchtung aufflammte.

„Liz, klappt das?“ drang Andys Stimme durch ihr Headset.

„Roger, ich hör dich. Verbesserung in den Systemen?“

„Hinten hat es einen Druckabfall gegeben. Die Labors wurden abgeschottet. Der Computer spinnt.“

Liz stieß sich ab, wieder zurück ins Cockpit. Andy hatte die gleiche Idee gehabt wie sie und war dabei, sich in einem Raumanzug von der Umwelt abzuschotten. Sie streckte ihm einen erhobenen Daumen entgegen und machte sich auf den Rückweg.

„Mach keinen Scheiß, Liz.“

„Meine Leute sind da hinten!“

„Carmichael, wenn sie da hinten sind, sind sie tot!“

Sie schnaubte nur.


Goldstein war trotz seiner misslichen Lage erstaunt. Er saß im Halbdunkel und rekapitulierte die Kontrollwerte seines Reaktors. Es sah ganz so aus, als hätten die Piloten vor, einen neuen, beachtlichen Schub zu geben, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. Dann waren die Anzeigen eingebrochen, hatten fehlerhafte Zeichen produziert, und die Reaktorkontrolle hatte die Notverriegelung des Kerns aktiviert. Als er Dr. Mehotra mit herausgetretenen Augen und verfärbtem Gesicht draußen vorbeitreiben sah, nahm er zum Anlass, seinen Schutzanzug komplett zu schliessen. Dass die Funkverbindung nach draußen abgebrochen war, beruhigte ihn nicht. Wenn man allerdings einige Kabel umsteckte...


„Liz?“ Andys Stimme rauschte durch den Funk. „Eine der Kontrollleuchten des Reaktors blinkt anders. Da morst jemand ein SOS.“

„Aus dem Reaktor?“ Das Adrenalin pumpte durch ihr System. Sie war nach hinten vorgedrungen, hatte Teile der Crew gefunden, denen Kälte und Vakuum zu einem schnellen und unangenehmen Tod verholfen hatten.

Die Quelle des Problems war bald gefunden. Die hintere Luftschleusen war geöffnet worden, ohne dass das innere Schott versiegelt gewesen war. Unmöglich. Dazu hätte man Sicherheitsabfragen, die tief in der Hardware des Schiffs verankert waren, manuell und mit vollem Körpereinsatz abschalten müssen. Die Schalter waren unberührt.

„Scheiße, Andy, was ist hier los? Irgendjemand ist hier durchgetickt!“

In ihr Ohr drang ein neues Signal, ein rhythmisches Knattern und Fiepen, Maschinen, die miteinander sprachen. Andys unverständliche Worte ein Störsignal dazwischen. Die Warnlampen begannen, mit dem Atem der Maschinen zu blinken, regelmäßiges Rot. Das Vakuum schluckte den Sirenenlärm.


Goldstein beobachtete die Gestalt, die sich vorsichtig durch die Schwerelosigkeit bewegte. Ihm war die Sinnlosigkeit bewusst, gegen die Scheibe zu klopfen, versuchte statt dessen, mit winkenden Armen auf sich aufmerksam zu machen, und tatsächlich wandte die Person im Anzug den Kopf zu ihm. Auf dem Visier des Helms spiegelte sich sein Umriss im Kontrollfenster und ein grelles, pulsierendes Leuchten hinter ihm. Der Reaktor war wieder zum Leben erwacht, nur dass die Werte, die auf den Bildschirmen ausgegeben wurden, nicht in einer Sprache kamen, die er verstand. Die Höhe der Skala, die die Belastung des eindämmenden Magnetfelds angab, war aber eindeutig. Der Professor gab sich noch fünf Minuten, ehe sich der Reaktor überhitzte und durch das umgebenden Titan fraß. Welch eine Verschwendung von Talent.


Liz riss an der Entriegelung der Reaktorkammer. Da war noch einer am Leben! Sie zerrte an der schweren Tür, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand daneben. Endlich! Ausströmende Atmosphäre ließ den Mann in der Kammer in ihre Richtung treiben, und sie packte ihn am Arm, um ihn fortzuziehen. Goldstein wehrte sich nicht, brauchte aber kurz, um sich darauf zu besinnen, ihr zu helfen.

Weg, nur weg. Liz lief im Automatikmodus. Den Wissenschaftler mitziehen, die Luke zu den Labors hinter sich verriegeln. Weiter nach vorne. Sie hatten Notsituationen geübt, nie in dem Glauben, in eine zu kommen oder darin lang genug zu überleben, um es auch nur zu versuchen. Weiter.

Als sich die Luftschleuse öffnete, die den Zugang von außen zum Cockpit erlaubte, fuhr ihre Hand vergebens dorthin, wo ihre Waffe gewesen wäre. Ein weiterer Mann im Raumanzug, leblos zusammengekrümmt, driftete herein. Goldstein warf einen Blick auf ihn, hob eine Hand, bedeutete ihr Ruhe zu bewahren, und hakte dann die Gurte seines Anzugs an dem des anderen ein, um ihn mit sich weiter nach vorne zu ziehen.


Der Cockpit war ein Meer von blinkenden Lichtern. Eine Sequenz von Zahlen flimmerte über die Monitore, sich immer wiederholend. Andy war in seinem Sitz zusammengesunken. Der Luftschlauch seines Anzugs war in die Sauerstoffversorgung des Schiffes eingesteckt, wohl um seine Flasche zu schonen. Liz bedeutete Goldstein, die Versorgung umzustellen. Vielleicht war er nur bewusstlos. Sie selbst versuchte, den Rechnern irgendeine Reaktion auf ihre eigenen Eingaben zu entlocken, schlug dann mit der Faust auf eines der Tastenfelder und klappte den Deckel zur Notabschaltung der aller sekundären Systeme hoch. Sie würde das Baby per Hand fliegen müssen.

Für den Professor hatte ein schneller Blick in Andys blau verfärbtes Gesicht genügt, um einzusehen, dass es für weitere Maßnahmen zu spät war. Er schnallte ihn ab und schubste ihn in die Schwerelosigkeit. Den Mann, den er mit sich gebracht hatte, schnallte er am Boden fest wie ein Gepäckstück, ehe er selbst an den Konsolen Position bezog.

Liz drehte den Griff, der die Systeme außer Kraft setzte, und zog den Zylinder darunter hoch. Das Blinken hörte auf, und die Bildschirme wurden schwarz. Das mechanische Knarzen, dass sich in ihr Hirn gefressen hatte, verstummte, und es war still.

Sie drückte auf den roten Knopf, der die Abkopplung der vorderen Kapsel einleitete, und sprach ein kurzes Gebet. Das würde ein Höllenritt werden.

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