Freitag, 25. Februar 2011

2.2. Und das alles ohne Kaffee.

„Sir, der Erste ist aufgewacht. Seine Vitalfunktionen sind erstaunlich. Normalerweise folgt einem künstlichen Koma Angst und Desorientierung, aber er wirkt, als hätte man ihn aus dem Tiefschlaf hochgeholt, nicht mehr. Sie haben die Krankenakten gelesen?“

Am anderen Ende der Leitung nickte der General knapp, ergänzte die Geste dann mit einem „Ja.“

„Die Hautanomalie hat sich nicht weiter ausgebreitet, aber sie scheint zu wandern. Mit unseren Mitteln konnten wir sie nicht erfassen.“

„Warum haben Sie ihn ohne mein Okay aufgeweckt, Doktor?“ Der Gedanke war ihm gerade erst gekommen, und der Ärger in seiner Stimme war ein Donnergrollen.

„Haben wir nicht, Sir. Sein Metabolismus scheint sich gegen die Narkotika durchgesetzt zu haben.“

„Können Sie versuchen, die anderen zu wecken? Ich hätte Reignsbury ungern alleine. Wir wissen nicht, wie stabil er unter diesen Umständen ist.“

„Sind Sie sicher, Sir?“

„Gibt es medizinische Einwände?“

„Nein, aber...“

„Holen Sie die anderen vorsichtig hoch, und lassen sie zusammen aufwachen. Streamen Sie mir die Daten der Überwachungskamera . Ich bin unterwegs.“


Sam dämmerte wieder hoch. Sie hatten ihm etwas in den Tropf gespritzt, an dem er hing, das ihn ausgeschaltet hatte wie ein Hammer auf den Kopf. Er versuchte, sich aufzurichten, erwartete zittrig zu sein, schwach, aber er fühlte sich gut. Ausgehungert, aber gut.

Seine nackten Füße kamen auf dem kühlen, glatten Boden auf. Er versuchte zu rekapitulieren, sich zu erinnern, was geschehen war. Das, was da an Gedanken in ihm hochstieg, war hässlich. Ein Wunder...

Da drüben in den beiden Betten waren vertraute Gestalten, ebenso verkabelt wie er. Liz wirkte deplatziert im Krankenbett, zu stark und stabil, um sich von irgendetwas zerstören zu lassen. Ihr blondes Haar stand wirr vom Kopf ab, war länger, als Sam es je bei ihr gesehen hatte. Ihre Lider zuckten, als würde sie träumen.

Dort drüben lag Goldstein, sauber rasiert und gekämmt, der tragische Held einer Serie aus den Fünfzigern. Jemand schien sich mit ihm die Mühe gegeben zu haben, die er bei Liz gespart hatte. Der Professor hatte den Kopf ein wenig zur Seite gedreht, schien sich wie eine Pflanze zum spärlichen Licht zu wenden, das durch die Vorhänge drang.

Sam atmete durch, zog dann entschlossen die Nadel aus seinem Arm und befreite sich von den Plastikschläuchen in seiner Nase. Ein kurzes Betrachten der Überwachungsgeräte, ehe er auf ein paar Tasten drückte und die Anzeigen verloschen. Er war sich sehr sicher, in der nächsten Zeit nicht zu sterben. Dass er die Kabel behutsam aus den Pads entfernte, statt sie fortzureißen, war berufliche Gewohnheit.

Prüfend trat er auf, selbst verblüfft, dass sein Körper funktionierte. Ein paar zögernde Schritte durch den Raum, um am Fenster zum Stehen zu kommen. Den Vorhang zur Seite ziehen.

Sein Blick glitt über Hochhäuser, dann hinunter auf die feucht glänzende Straße, an deren Rändern sich Bäume mit dem ersten Grün des Frühlings schmückten. Der Himmel hing wie ein ungewaschenes Leintuch über den Dächern und verriet nicht, wie spät es war.

Sam lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe, meinte kurz, die frische, regenklare Luft dort draußen schmecken zu können.

Sie waren tot.

Die Feststellung hatte in seinem Hinterkopf gelauert, gebrütet, seit jenen unseligen Minuten auf der Freedom, wo das Adrenalin sie fortgespült hatte. Er hatte die Besatzung, seine Freunde, sterben sehen, und war davongekommen. Dass er während des Systemausfalls nicht auf seiner Position gewesen war, war nicht mehr als ein Zufall. Glück. Reines verdammtes Glück.

Sein Magen zog sich bei dem Gedanken zusammen.

Das empörte Piepsen eines Herzmonitors riss ihn aus seinen Gedanken.

Liz saß aufrecht im Bett, hatte mit einer hastigen Bewegung den Großteil der Kabel von sich gezerrt und versuchte sich zu orientieren, ihren panikgeweiteten Augen nach erfolglos. Ihr Atem ging stoßweise.

„Ist okay, Liz. Ist okay.“ Sam bemühte sich um eine beruhigende Tonlage, aber mehr als ein belegtes Krächzen bekam er nicht heraus.. Ihr Blick flackerte umher, fokussierte sich auf ihn. Die Pupillen waren schwarze Löcher im bleichen Gesicht.

„Liz, wir sind im Krankenhaus. Du hast uns runtergebracht. Wir sind okay.“

Der Atem wurde langsamer, und ein wenig wich die Spannung aus ihrer Gestalt. Schweigend wurden erst der Raum, dann Sam, dann das Bett unter sich und schließlich Goldstein in Augenschein genommen.

„Scheiße.“ sagte sie hingebungsvoll.

Dienstag, 22. Februar 2011

2.1. Guten Morgen, Welt.

Graues Tageslicht drang durch den bleichen Stoff der Vorhänge, die den Regentag draußen von der sterilen Umgebung des geräumigen Raumes trennte, den Schwester Morgan auf leisen Sohlen durchschritt.

Sie mochte dieses Zimmer. Die Patienten waren seit zwei Monaten hier, und sie waren so angenehm ruhig. Einmal am Tag kam sie hierher, um nach ihnen zu sehen, sich dann auf einem Stuhl niederzulassen, die Füße hochzulegen und ein wenig zu verschnaufen.

Sie hatte begonnen, die beiden Soldaten vor der Tür als persönliche Leibgarde zu sehen, die ihr den Alltag vom Hals hielten.

Morgan wusste nicht, wer die drei waren, die da schlummerten, an im ruhigen Rhythmus ihres Herzschlags piepsende Geräte angeschlossen. Sie sah zwar fern, aber nach der Schicht in der Klinik brauchte sie nicht noch mehr Gräuelmeldungen aus den Nachrichten.

Die beiden Männer und die Frau mussten einen schweren Unfall hinter sich haben. Als sie zu ihnen gekommen waren, waren sie kaum mehr als Trümmer, und selbst jetzt sah man noch die rosige, glatte Haut, die sich über den Verbrennungen gebildet hatte.

Es mussten wichtige Leute sein. Der Chefarzt persönlich war bei ihnen gewesen, zusammen mit einigen Gesichtern, die die Assistenzärzte raunend als 'Forscher' bezeichnet hatten – andere Leute hätten den Ton für 'Frankenstein' verwendet.

Die Schwester konnte es nicht lassen, wie jeden Tag sanft über die Wange des Dunkelhaarigen zu streichen, nachdem sie ihn rasiert hatte. Seine markante Kinnpartie hätte sicher jeder Frau die Knie weich gemacht, läge er nicht hier.

„Männer wie du werden heute nicht mehr gemacht, und dann trifft man mal einen, und was ist? Er liegt im Koma.“ Sie seufzte schwer.

Seine Lider zuckten leicht, als sie sich abwendete.


Der General war nicht glücklich. Als sie ihn zu diesem Projekt abgestellt hatten, klang es nach einer großen Ehre. Astronauten. Eine davon sogar ein Marine. Damit konnte man doch arbeiten...wenn sie nur wach wären.

So blieb ihm nichts, als in San Francisco zu bleiben und zu warten.

Was sollte man von diesen so genannten Novas auch erwarten? Alles, was er bisher gesehen hatte, war, dass es größere Geschütze brauchte, um sie umzubringen.


Schwester Morgan schreckte hoch. Sie musste eingenickt sein bei ihrem wohlverdienten Päuschen. Kurz brauchte sie, um sich zu orientieren. Etwas war falsch, hatte ihren über die Jahre antrainierten Instinkt anspringen lassen. Die Geräusche der Maschinen waren normal. Der Hübsche döste, genau wie die Frau. Der dritte, der mit dem langen Gesicht, hatte die Augen geöffnet.


„...wach? Können Sie mich hören, Sir? Sind Sie bei uns?“

Die Stimme drang durch weiche Wolken zu Sam herab. Er hatte sich Gott immer anders vorgestellt. Er versuchte etwas Geistreiches, aber was aus seiner trockenen Kehle drang, war nur ein Ächzen.

„Ich hole den Doktor!“

Die Schwester stürmte davon. Ihr Horoskop hatte sie heute morgen vor Überraschungen gewarnt, aber sie hatte auf etwas anderes gehofft.

Sams Augen schwammen. In der Helligkeit zeichneten sich langsam Umrisse ab, die nicht zu dem passten, woran er sich erinnerte. Bett. Stühle. Tisch. Ein geschmackvoll-friedlicher Druck einer Landschaft in dezenten Farben. An der Wand befestigt der tote Bildschirm eines Fernsehers. Und kein Raumschiff.

Er hob die Hand, um sich über die Augen zu reiben. Kanüle. Ein Zugang steckte in seinem Arm, mit Klebeband fixiert.

'Krankenhaus.' tickte es in seinem Kopf. Vorsichtig tastete er nach den Kabeln und Schläuchen, die etwas an seinem Körper mit Geräten verbanden.

„Willkommen unter den Lebenden, Mister Reignsbury.“

Jemand war an sein Bett getreten. Hochgewachsen. Kittel. 'Arzt.' tickte es. Ja, das ergab Sinn.

„Wie fühlen Sie sich?“

„Blendend.“ krächzte er nach einigen Anläufen. „Wo sind...“

„Ihre zwei Kollegen sind am Leben. Nachdem Sie wieder bei uns sind, bin ich guter Hoffnung, dass die beiden auch aufwachen. Bleiben Sie liegen, Mister Reignsbury. Ich werde Sie kurz untersuchen, und dann ruhen Sie sich ein wenig aus.“

„Was ist denn...“

Der Arzt leuchtete in seine Augen, nickte zufrieden ob der Reaktion der Pupillen.

„Ihre Pilotin hat es geschafft, die Kapsel zu wassern. Es grenzt an ein Wunder, dass jemand überlebt hat.“

Er wandte sich von Sam ab, um einen Blick auf die Anzeigen der Geräte zu werfen.

„Sie scheinen recht fit zu sein. Die Schwester bringt Ihnen gleich etwas, damit Sie noch ein bißchen schlafen können. Dann sieht die Welt gleich netter aus.“

Sein Ton duldete keinen Widerspruch.

Freitag, 18. Februar 2011

1.2. Anderswo an Bord. Ein wenig früher.

„Heilige Scheiße.“ Liz starrte auf die Zeichen, die Bruchstücke von Buchstaben, die über ihre Monitore flimmerten. „Andy, was ist das?“

„Blöder Zeitpunkt für eine Fehlfunktion.“

„Ground Control? Wir bekommen hier was Seltsames rein.“ Sie lauschte angestrengt. „Ground Control? Hören Sie mich?“

„Liz, die Konsolen reagieren nicht. Und das hier...“ Andy deutetet aufgeregt mit dem Finger auf eine der Anzeigen, deren aufgeregtes Flimmern sich langsam beruhigte. Neue Zahlen.

„Wer pfuscht da in meinem Kurs rum? Andy, bring das in Ordnung, verdammt!“

Rote Dioden leuchteten auf, unheilvolle Sterne auf dem Metall der Konsolen.

„Ausfälle in allen Bereichen. Kann nicht sein.“

„Carmichael an Crew! Status?“ Liz brüllte durch die Funkanlage. „Status?“ Die einzige Antwort war ein hochfrequentes Pfeifen.

Sie befreite sich aus den Gurten. „Fahr die Notsysteme hoch. Ich schau mir das an.“

Durch die Schleuse hinaus in den Aufenthaltsbereich, der verlassen war. Die Crew musste hinten sein, im Labor, oder in ihren Betten. Die Beleuchtung hier war an, und es gab keine Schäden. Sie hangelte sich weiter.

Für einen Moment wurde es finster, ehe die bernsteinglühende Notbeleuchtung aufflammte.

„Liz, klappt das?“ drang Andys Stimme durch ihr Headset.

„Roger, ich hör dich. Verbesserung in den Systemen?“

„Hinten hat es einen Druckabfall gegeben. Die Labors wurden abgeschottet. Der Computer spinnt.“

Liz stieß sich ab, wieder zurück ins Cockpit. Andy hatte die gleiche Idee gehabt wie sie und war dabei, sich in einem Raumanzug von der Umwelt abzuschotten. Sie streckte ihm einen erhobenen Daumen entgegen und machte sich auf den Rückweg.

„Mach keinen Scheiß, Liz.“

„Meine Leute sind da hinten!“

„Carmichael, wenn sie da hinten sind, sind sie tot!“

Sie schnaubte nur.


Goldstein war trotz seiner misslichen Lage erstaunt. Er saß im Halbdunkel und rekapitulierte die Kontrollwerte seines Reaktors. Es sah ganz so aus, als hätten die Piloten vor, einen neuen, beachtlichen Schub zu geben, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. Dann waren die Anzeigen eingebrochen, hatten fehlerhafte Zeichen produziert, und die Reaktorkontrolle hatte die Notverriegelung des Kerns aktiviert. Als er Dr. Mehotra mit herausgetretenen Augen und verfärbtem Gesicht draußen vorbeitreiben sah, nahm er zum Anlass, seinen Schutzanzug komplett zu schliessen. Dass die Funkverbindung nach draußen abgebrochen war, beruhigte ihn nicht. Wenn man allerdings einige Kabel umsteckte...


„Liz?“ Andys Stimme rauschte durch den Funk. „Eine der Kontrollleuchten des Reaktors blinkt anders. Da morst jemand ein SOS.“

„Aus dem Reaktor?“ Das Adrenalin pumpte durch ihr System. Sie war nach hinten vorgedrungen, hatte Teile der Crew gefunden, denen Kälte und Vakuum zu einem schnellen und unangenehmen Tod verholfen hatten.

Die Quelle des Problems war bald gefunden. Die hintere Luftschleusen war geöffnet worden, ohne dass das innere Schott versiegelt gewesen war. Unmöglich. Dazu hätte man Sicherheitsabfragen, die tief in der Hardware des Schiffs verankert waren, manuell und mit vollem Körpereinsatz abschalten müssen. Die Schalter waren unberührt.

„Scheiße, Andy, was ist hier los? Irgendjemand ist hier durchgetickt!“

In ihr Ohr drang ein neues Signal, ein rhythmisches Knattern und Fiepen, Maschinen, die miteinander sprachen. Andys unverständliche Worte ein Störsignal dazwischen. Die Warnlampen begannen, mit dem Atem der Maschinen zu blinken, regelmäßiges Rot. Das Vakuum schluckte den Sirenenlärm.


Goldstein beobachtete die Gestalt, die sich vorsichtig durch die Schwerelosigkeit bewegte. Ihm war die Sinnlosigkeit bewusst, gegen die Scheibe zu klopfen, versuchte statt dessen, mit winkenden Armen auf sich aufmerksam zu machen, und tatsächlich wandte die Person im Anzug den Kopf zu ihm. Auf dem Visier des Helms spiegelte sich sein Umriss im Kontrollfenster und ein grelles, pulsierendes Leuchten hinter ihm. Der Reaktor war wieder zum Leben erwacht, nur dass die Werte, die auf den Bildschirmen ausgegeben wurden, nicht in einer Sprache kamen, die er verstand. Die Höhe der Skala, die die Belastung des eindämmenden Magnetfelds angab, war aber eindeutig. Der Professor gab sich noch fünf Minuten, ehe sich der Reaktor überhitzte und durch das umgebenden Titan fraß. Welch eine Verschwendung von Talent.


Liz riss an der Entriegelung der Reaktorkammer. Da war noch einer am Leben! Sie zerrte an der schweren Tür, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand daneben. Endlich! Ausströmende Atmosphäre ließ den Mann in der Kammer in ihre Richtung treiben, und sie packte ihn am Arm, um ihn fortzuziehen. Goldstein wehrte sich nicht, brauchte aber kurz, um sich darauf zu besinnen, ihr zu helfen.

Weg, nur weg. Liz lief im Automatikmodus. Den Wissenschaftler mitziehen, die Luke zu den Labors hinter sich verriegeln. Weiter nach vorne. Sie hatten Notsituationen geübt, nie in dem Glauben, in eine zu kommen oder darin lang genug zu überleben, um es auch nur zu versuchen. Weiter.

Als sich die Luftschleuse öffnete, die den Zugang von außen zum Cockpit erlaubte, fuhr ihre Hand vergebens dorthin, wo ihre Waffe gewesen wäre. Ein weiterer Mann im Raumanzug, leblos zusammengekrümmt, driftete herein. Goldstein warf einen Blick auf ihn, hob eine Hand, bedeutete ihr Ruhe zu bewahren, und hakte dann die Gurte seines Anzugs an dem des anderen ein, um ihn mit sich weiter nach vorne zu ziehen.


Der Cockpit war ein Meer von blinkenden Lichtern. Eine Sequenz von Zahlen flimmerte über die Monitore, sich immer wiederholend. Andy war in seinem Sitz zusammengesunken. Der Luftschlauch seines Anzugs war in die Sauerstoffversorgung des Schiffes eingesteckt, wohl um seine Flasche zu schonen. Liz bedeutete Goldstein, die Versorgung umzustellen. Vielleicht war er nur bewusstlos. Sie selbst versuchte, den Rechnern irgendeine Reaktion auf ihre eigenen Eingaben zu entlocken, schlug dann mit der Faust auf eines der Tastenfelder und klappte den Deckel zur Notabschaltung der aller sekundären Systeme hoch. Sie würde das Baby per Hand fliegen müssen.

Für den Professor hatte ein schneller Blick in Andys blau verfärbtes Gesicht genügt, um einzusehen, dass es für weitere Maßnahmen zu spät war. Er schnallte ihn ab und schubste ihn in die Schwerelosigkeit. Den Mann, den er mit sich gebracht hatte, schnallte er am Boden fest wie ein Gepäckstück, ehe er selbst an den Konsolen Position bezog.

Liz drehte den Griff, der die Systeme außer Kraft setzte, und zog den Zylinder darunter hoch. Das Blinken hörte auf, und die Bildschirme wurden schwarz. Das mechanische Knarzen, dass sich in ihr Hirn gefressen hatte, verstummte, und es war still.

Sie drückte auf den roten Knopf, der die Abkopplung der vorderen Kapsel einleitete, und sprach ein kurzes Gebet. Das würde ein Höllenritt werden.

Dienstag, 15. Februar 2011

01 - Die Mission

Die OMS-Triebwerke brannten einen kurzen Ausstoß des Methyl-Hydrazin Treibstoffs ab und rotierten, diesem Impuls folgend, das Schiff gemächlich um die eigene Achse. Es folgte den Perimetern der zuvor eingegebenen Ausrichtung. Im Kontrollraum hing Pilotin Elizabeth Carmichael neben den Monitoren an einer der gewölbten Wände. Die Dioden der Messinstrumente und der, für das Auge kaum wahrnehmbar flackernden Bildschirme tauchten den sterilen weißen Raum in ein Licht, dass unzählige farbige Schatten warf. Mit einem dezenten Schubs, der die korrekt dosierte Stärke hatte, um den Raum zu queren, ohne jedoch in der Enge gegen die Schalter und fragilen Konsolen zu geraten, überflog sie Andy, einen der Techniker, der damit beschäftigt war die eingehenden Auswertungen der Bodenkontrolle zu studieren. Jede der kryptisch anmutenden, digitalblauen Zeilen auf dem Schirm quittierte er, ohne es selbst zu merken, mit einem konzentrierten Zusammenkneifen der Augenlider. „Ich werde mal sehen ob dein Chef inzwischen herausgefunden hat was mit den Lichtern der Außenkonsole auf sich hat. Oder ob lieber mal jemand danach sieht, der sich damit auskennt.“, scherzte Liz, wie sie von den meisten der neun anderen Crewmitgliedern genannt wurde, und gab gleichzeitig das Verlassen des Kontrollraums zu Protokoll. Andy starrte ohne aufzusehen weiter in das blaue Licht vor ihm, signalisierte aber, mit einem subtilen Wink seiner Rechten, dass er verstanden hatte. Kurz darauf, Liz hatte bereits die Schleuse erreicht und war nun dabei sich in horizontaler Position vorwärts zu hangeln, sah er doch noch von seinem Pult auf und rief der schwebenden Astronautin hinterher: „Dann erinnere Sam auch daran, dass er vor über einer Stunde versprochen hat Kaffee mitzubringen!“.


Professor Goldstein hockte aufrecht in seiner Schlafmulde die vom oberen bis zum unteren Ende einer der Wände reichte. Die Klettbänder seines Overalls verhinderten, dass er, während er vollkommen in das Buch das er in Händen hielt vertieft war, unkontrolliert durch den Raum segelte.

„Anti-zyklische Bahnberechnungen im x-dimensionalen Raum“ war eigentlich weniger ein Buch, als eine wissenschaftliche Arbeit eines Forscherkollegen. Das Volumen des sorgsam gebundenen Blätterstapels jedoch lies durchaus auf die inhaltliche Imposanz eines Abenteuerepos schließen und Goldstein hatte die Arbeit auch tatsächlich aus Gründen angenehmer Ablenkung vom Arbeitsalltag mit an Bord der Freedom genommen. Leider wurde er umso enttäuschter, je weiter er darin vorankam. Lieferte der Autor, ein aus den Augen verlorener Freund aus Zeiten ihrer gemeinsamen Promovierung, anfänglich noch einige gewagte aber auch interessante Thesen zutage, entbehrten die Zusammenhänge, seiner Meinung nach, mehr und mehr jeglicher Grundlage. Genervt legte er das Manuskript vor sich in der Schwerelosigkeit ab und sah aus dem Augenwinkel wie sich seine Kollegin spiralartig Weg in die Unterkünfte bahnte.

„Haben sie Samuel gesehen?“, kam Elisabeth ohne weitere Umschweife direkt zum Grund ihres Besuchs.

„Haben sie versucht Herrn Reignsbury über das Com zu erreichen?“, kam nüchtern zurück. Der Professor hatte angefangen sich aus der Halterung seiner Koje zu schälen. Mit seinen 45 Jahren war Professor Goldstein der älteste Teilnehmer der Mission und hatte sich, auch nach 6 Monaten intensivem Training im Team und dem erfolgreichen Start der Expedition, als etwas reservierter als die anderen Teilnehmer erwiesen. Ihm war eine nüchterne Zurückhaltung zu eigen, die aber durchaus von gegenseitigem Respekt geprägt war und sich hauptsächlich darin ausdrückte, dass er die anderen Teilnehmer der Mission noch immer beim Nachnamen nannte.

„Sie haben hoffentlich nicht vergessen, dass wir noch die Berechnungen des Transponders zusammen durchgehen wollten.“, erinnerte er Liz, die bereits wieder den zylindrischen Raum durchflogen hatte und an der nächsten Schleuse angelangt war.

„Ich dachte das Team von Sam wollte die Daten mit Ihnen durchgehen?“

Der großgewachsene Mann mit den krausen Locken sah seine Kollegin irritiert an, während er die letzten Klettverschlüsse von seiner Kleidung nestelte.

„Ist Reignsbury nicht mit einem Ausfall eines der äußeren Module beschäftigt?“

„Kein Ausfall!“, korrigierte Liz. „Eine Störung. Das Ding übermittelt merkwürdige Daten an die Rechner. Daten, die in keinem Zusammenhang mit tatsächlichen Außenbeobachtungen zu stehen scheinen.“

„Also doch ein Ausfall!“, gab Goldstein sich rechthaberisch. „Oder sind diese Daten zu irgend etwas von Nutzen?“

Liz behagte nicht, in welche Richtung sich diese Unterhaltung entwickelte. Als ranghöchster Offizier des Projektes hätte sie dieses Gespräch nun auch einfach für beendet erklären können, aber sie wusste natürlich, dass schlechte Stimmung an Bord auch niemandem half. Schon gar nicht hinsichtlich der vielen Monate die sie noch an Bord dieser Sardinenbüchse würden zusammen verbringen müssen. Genervt strich sie sich durch ihre Haare und erinnerte sich, abermals genervt, daran, dass sie die auch seit Tagen wieder hatte schneiden wollen. Schließlich war sie Soldatin - und lange Haare in der Schwerelosigkeit des Alls schlichtweg unpraktisch. Der Professor war sicherlich - daran zweifelte sie nicht einen Augenblick - ein brillanter Wissenschaftler und immerhin hatte er großen Anteil an der Entwicklung des Antriebs der Raumfähre, die sie nun schon seit einiger Zeit bewohnten, gehabt. Aber auf menschlicher Ebene hatte sie nach wie vor einige Schwierigkeiten mit ihm. Gespräche außerhalb der Arbeitsthematik fanden praktisch nicht statt, er gab sich höchst unnahbar. Sie fragte sich, ob nur sie sich daran stoß, vermutete aber sogleich, dass sie es wahrscheinlich einfach nur satt hatte ständig jedem an Bord des Schiffs Rechenschaft schuldig zu sein.

„Sam wollte sich längst darum gekümmert haben.“, versuchte sie sich vorsichtig wieder der eigentlichen Thematik zu nähern. „Aber bitte, fragen wir ihn doch!“

Sie schob sich zu einer der Kommunikationsschalttafeln, die in den meisten der Räumen angebracht waren, gab Sams Zifferncode ein und startete das Interface. Die Lautsprecher gaben ein kurzes Knacken von sich, das in langgezogenes Rauschen überging.

„Ja? Was gibt’s?“, konnten beide, undeutlich wie durch einen Wattenebel gesprochen, von der Gegenseite vernehmen.

„Professor Goldstein und ich hätten gerne gewusst ob es neue Erkenntnisse oder Fortschritte mit dem Außenmessgerät gibt. Sag mal, der Empfang ist ja furchtbar... magst du nicht kurz herkommen und uns aufklären? Ich kann vor lauter Rauschen kaum hören, ob du etwas sagst.“

Weiteres Rauschen.

„Das ist gerade eher schlecht, Liz. Weißt du, ich habe die Einheit jetzt bereits geöffnet um zu sehen wo der Fehler liegt. Ich vermutete ja erst, dass eventuell Weltraumschrott dagegen gedonnert sei – sieht aber ganz intakt aus das Ding...“

Liz und Goldstein sahen sich irritiert an.

Liz reagierte zuerst. „Bist du... bist du etwa DRAUSSEN?“

„Klar, ist ja eher schwierig die äußere Messeinheit von innerhalb des Schiffs auf Materialfehler zu überprüfen. Oh, und Liz – erinnere mich bitte daran wieder mehr zu trainieren! Ich wäre bereits beim Anziehen des Strahlungsanzugs beinahe gestorben – hatte ganz vergessen was für eine beschissene Bewegungsfreiheit man in den Dingern hat.“

Kurze Sendepause.

„Seid ihr noch da? Das Com ist echt scheiße!“

„Könntest du mal aufhören zu fluchen und mir sagen, weshalb du es nicht für notwendig hältst eine Außenmission vorher mit mir abzusprechen?“

Professor Goldstein, der inzwischen auch versucht war etwas hierzu zu sagen, wurde sogleich von einem weiteren Redeschwall ausgebremst. Liz war in Rage.

„Ihr beschissenen Zivilisten! Glaubt ihr wir sind hier auf einem Ausflugsdampfer? Ist dir eigentlich klar, dass ich meinen Kopf dafür hinhalte, wenn dir da draußen etwas passiert? Nicht dass es mir dann um dich leid täte!“

„Hat dir Andy nicht Bescheid gegeben? Hm... wenn ich's mir recht überlege wollte ich Andy nur Bescheid geben und hab's dann selbst vergessen... entschuldige bitte Liz!“, schepperte es kleinlaut aus den Boxen.

„Sieh zu dass du da draußen fertig wirst und dann komm schleunigst wieder an Bord!“

„Ist denn“, meldete sich nun, nachdem der Orkan vorüber gezogen war, doch auch Goldstein wieder zu Wort „ein dauerhafter Schaden der Einheit denkbar?“

Sam, der froh war wieder auf ein anderes Thema, als das Ignorieren der Befehlskette zu sprechen kommen zu können, griff das dankbar auf.

„Die Sensorik wurde jetzt erstmal von mir auf die hintere Sektion übertragen, weshalb Kursberechnungen theoretisch auch erstmal ohne auskommen sollten, aber ich hoffe natürlich trotzdem, dass ich das Teil wieder rechtzeitig flott kriege. Ich sehe mir das jetzt zu Ende an und bin dann sofort wieder beu euch. Over and out!"

Sam schraubte die zweite Abdeckung von dem kleinen weißen Kasten, der ursprünglich dazu in der Lage hätte sein sollen Objekte bis zu einer minimalen Größe von 2cm und in einer Entfernung von mehreren Meilen zu erfassen und diese Daten ins Innere des Schiffs zu speisen. Was er aber zuletzt tatsächlich lieferte war ein Datensalat. Sam konnte sich bislang nicht recht erklären woran das liegen konnte. Alles was er und der Rest der Crew wussten, war dass sie sich glücklicherweise nicht in einem Asteroidengürtel oder gar dem Inneren eines Gasriesen befanden. Genau diese abstrusen Daten lieferte das verdammte Ding nämlich wechselweise.

Er befestigte die abmontierte Klappe vorsichtig in der standardmäßig dafür vorgesehenen Tasche seines Werkzeugsets, welches wiederum am Äußeren seines Raumanzugs angebracht war und die Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit noch potenzierte.

Das Innere der Konsole sah unbeschädigt aus. Wenn überhaupt, dann musste die Sensorik defekt sein, denn alles andere hätte bei diesen sensiblen Instrumenten sicher einen Totalausfall zur Folge gehabt. Die Dioden, die mehreren unterschiedliche Vektoren und deren Ausrichtung im Raum zugeordnet waren blinkten in hübsch ungeordnetem Muster. Sam war sich nicht sicher ob das so sein sollte. Er prüfte ob die Antenne noch in der richtigen Ausrichtung angebracht war und musste aus dem Augenwinkel feststellen, dass die Dioden in einem Rhythmus funkelten, der sich im Abstand von einigen Sekunden zu wiederholen schien. Das konnte nicht sein. Selbst auf einer Route, die in gleichmäßigem Orbitalflug um einen Körper kreiste, hätten die Messdaten zumindest geringfügig unterschiedlich ausfallen müssen. Noch dazu war Sam als ob das Muster weniger Daten wiedergeben zu schien als vielmehr einen Rhythmus. Oder Sprache! Natürlich. Er besah sich das Blinken genauer und wagte kaum seinen Augen zu trauen. Wenn auch der Rhythmus nicht einfach zu erkennen war, da das Muster sich erst nach eine ganzen Weile wiederholte, so war es dennoch da.

Sam bemerkte, dass er schnell und nervös atmete. Er fummelte das Werkzeug zurück in seine Tasche und versuchte das Com zu aktivieren.

Exakt in diesem Moment zündete eine der Brennstufen und wirbelte das Schiff mit einem Impuls, der Sam beinahe davon getrennt hätte, herum.

„Sam, kannst du mich hören?“ Es war Liz, das Com offen. Ihre Stimme hysterisch und scheppernd.

Sam vernahm sie unter dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren nur wie durch einen Schleier hindurch. Er hielt sich krampfhaft an der Antennenhalterung des Schiffs fest und sah nur wie die kleinen Lichtpunkte entfernter Sterne Schlieren im Glasvisier seines Helms hinterließen.

„Liz, verdammt! Was passiert gerade? Scheiße - Ich bin doch noch draußen!“

„Sam? Sam? Die Sensoren melden einen unkontrollierten Energieausstoß und... Oh mein Gott, du musst sofort ins Schiff kommen, hörst du mich?“

Sam hatte bereits damit begonnen die Außenstruktur entlang zu klettern. Die unentwegte Rotation machte dieses Unterfangen wesentlich schwieriger als beim Ausstieg. Die rasant flirrende Umgebung der entfernten Lichtpunkte machte es äußerst mühsam sich auf die Stahlstreben zu konzentrieren, an denen er versuchte sich entlang zu hangeln. Hinzu kam eine stetig wachsende Übelkeit. Er versuchte den Würgereflex zu unterdrücken und das Weltraumkarussell um ihn herum auszublenden und zog sich mit raschen Bewegungen weiter.

Hätte er nicht versucht gezielt nur auf seine Hände vor ihm zu sehen, wäre ihm der schwarze, tennisballgroße Kegel vermutlich gar nicht aufgefallen, der an der Außenhülle klebte. So aber entdeckte er ihn. Wusste, dass er da nicht hingehörte. Wusste auch, dass er jetzt eigentlich keine Zeit hatte um sich um solcherlei Merkwürdigkeiten zu kümmern – und genau weil dies so war, schien ihn das Ding geradezu zu verhöhnen. Sam griff danach, stellte fest, dass es sich nicht so einfach vom Schiff lösen lies wie er gedacht hatte. Es war fest, lies sich aber mit einiger Kraft eindrücken. Wie aus Hartgummi, dachte er. Ein plötzlicher, kräftiger Ruck genügte dann jedoch. Das Ding ploppte, völlig geräuschlos, von der Oberfläche und hinterließ keinerlei Haftspuren an der Oberfläche. Sam steckte es an irgendeine Stelle seines Anzugs, während er bereits wieder mit der anderen Hand Schwung in eine Vorwärtsbewegung verwandelte. Da erst bemerkte er, dass Liz noch immer über das Com zu hören war, jedoch offenbar nicht mit ihm sprach. Zumindest hoffte er das, denn es hatten sich so viele weitere Geräusche aus dem Hintergrund in die Übertragung gemischt, dass er nicht mehr recht verstehen konnte, was gesagt – vielmehr geschrien – wurde. Und umgekehrt schien es nicht anders, denn auf sein Rufe schien Liz nicht zu reagieren. Das einzige was Sam in diesem Wirrwarr aus Geräuschen klar ausmachen konnte, war das laut zu vernehmende Alarmsignal aus dem Inneren des Schiffs, das alles andere übertönte. Sein Eindruck, an einem außer Kontrolle geratenen Karussell zu hängen verstärkte sich noch. Instinktiv schloss er die Augen. Die Dunkelheit schien eine willkommene Abwechslung und ihm dabei zu helfen, sich auf die 15 Meter, die noch bis zur Einstiegsluke zurückzulegen waren, zu konzentrieren. Noch bevor er damit gerechnet hatte, stieß er mit den Fingern, die in dicken Handschuhen steckten, an den schweren, metallenen Hebel der Einstiegsluke. Sam stemmte sich ihm entgegen und erschauderte. Das Dröhnen in seinen Ohren schwoll zu einem betäubenden Rasen an. Panisch öffnete er die Augen wieder und gab seiner unheilvollen Vermutung Gewissheit. Das Airlocksiegel leuchtete ihn rot blinkend und unheilvoll an. Ein Zeichen dafür, dass entweder die nächsthintere Schleuse nicht geschlossen war und die Außenluke somit, zur Sicherheit der im Inneren befindlichen Crewmitglieder, nicht geöffnet werden konnte, oder...

Sam führte den Gedanken nicht zu Ende. Er versuchte sich nochmals darauf zu konzentrieren, welches Warnsignal er vorhin durch die Kommunkationsanlage wahrgenommen hatte und bermerkte erst hierbei, dass er das ja immer noch tat. Er hatte dieses grauenvolle Tönen vollkommen ausgeblendet - aber es war immer noch da. Der Alarm verkündete ein Strahlungsleck! Ruckartig wuchtete er seinen Körper in dem unförmigen Anzug herum und sah zum ersten Mal, seit er versucht hatte die Luke zu erreichen, zum Heck des Schiffs. Die hintere Sektion stand lichterloh in Flammen. Die Antriebe waren gegen das grün-blaue Gleisen, das an einen überdimensionalen Schneidbrenner erinnerte, der die Flammen nicht mehr richtig zu bündeln in der Lage war, kaum noch auszumachen. Der Bereich, über den er sich noch vor wenigen Minuten hinweg gehievt hatte glühte und war unförmig verbogen. Mit einem gewaltigen Satz und einer Kraftanstrengung die purem Überlebenswillen zu entspringen schien, schob er sich an der Außenhaut weiter nach vorn und mißachtete hierbei die Sicherheitsvorkehrungen, die verlangt hätten, immer eine Hand abwechselnd am Geländer zu behalten. Wenn er die Wahl hatte, schien ihm der Tod durch ein langsames Wegdämmern, während er führerlos durchs All trieb angenehmer, als in den furchtbar wütenden Wogen des atomaren Feuers hinter ihm zu vergehen. Das Schiff raste unter ihm hindurch. Sam war, als würde er einen umgestülpten Eiskanal hinabgleiten. Undeutlich konnte er das Gefälle der vorderen Sektion erkennen, wo die Nase des Cockpits das Schiff spitz zulaufen ließ, während sich selbiges ächzend unter ihm dahin schraubte. Mit einer beinahe intuitiven Bewegung seiner Arme stoppte er seinen rasanten Flug durchs Vakuum. Nur einen knappen Meter bevor er über das Ziel hinaus, am vorderen Ende des Shuttles vorbei geschossen wäre. Er korrigierte kurz seine Position an der Außenwand der Cockpitsektion und fand schließlich was er, als letzte Möglichkeit einer beinahe hoffnungslosen Rettung, gesucht hatte: Die vordere Luke.

Hastig stemmte er sich gegen den wuchtigen Hebel und war beinahe überrascht, als er sich tatsächlich bewegen ließ. Der Deckel hob sich vollautomatisch und gab den Weg in den winzigen Zwischenraum frei, der für Sam einzige Hoffnung oder weiterer Sarg zu sein vermochte. Unfähig sich sinnvoll zu bewegen, betätigte er den Knopf des Öffnungsmechanismus im Inneren indem er mit irgendeinem Teil seines linken Beines dagegen stieß, während er unentwegt schreiend fluchte. In das anschließende, beruhigende Geräusch der sich schließenden Luke und das Einströmen von Sauerstoff mischte sich pures Unbehagen, als Sam begriff, dass Teile der Geräuschkulisse vom Knistern der schmelzenden Außenhülle kamen, von der ihn nun nur wenige Zentimeter trennten.

Dann umfing ihn Dunkelheit.